In deiner Hand
dass ich als Blutsauger sehr viel mehr gegen Malik ausrichten konnte, als jetzt? Wie kam ich denn als Sterbliche gegen ihn an? Gar nicht! Ich konnte Mum nicht beschützen. Er würde erst mich und dann sie töten, Mum und das Baby. Bei dem Versuch, ihnen das Leben zu retten, würde auch Charles sterben.
„Kann mich bitte jemand aufwecken? Irgendjemand?“, fluchte ich leise vor mich hin. Natürlich bekam ich keine Antwort. Von wem auch? Ich durfte mich jetzt nicht verrückt machen. Malik musste sterben, ganz klar. Alles andere kam gar nicht in Frage. Doch herumliegen und jammern brachte mich nun wirklich auf keinen grünen Zweig. Ächzend erhob ich mich wieder vom Bett und schlurfte durch das verlassene Haus. Hin und wieder knarzte der Boden leise unter meinen Füßen, als ich die Türen zu jedem Zimmer öffnete, einen langen Blick hineinwarf und sie schließlich wieder schloss. Im Wohnzimmer hing mein starrer Blick so lange an dem Foto von Granny, dass meine Augen brannten. Ich hatte ihre Lachfältchen immer geliebt. Ebenso ihre herzliche, liebevolle Art, ihren Duft und ihren Humor. Nur mit Mühe riss ich mich von dem Bild los, holte mir in der Küche eine Bio-Limonade aus dem Kühlschrank und trat hinaus in den Garten. Meine Finger umfassten den Flaschenhals, doch ich nahm keinen einzigen Schluck daraus. Dieses Mal starrte ich die große Kerbe in dem Baum an, die ich mit meinem alten Skateboard geschlagen hatte. Es fiel mir unendlich schwer all die Eindrücke der letzten Woche zu verdrängen. Immer wieder sah ich Eriks blutüberströmtes Gesicht vor mir, den Pflock in meiner Hand, dann Maliks dümmlich grinsende Fresse, Annies kalte Augen, Mum, die sich glücklich über den Bauch strich. Ich musste an ihre Verlobung denken, an die Grillparty mit Brian, Donna und Erik und plötzlich war da dieses schwarze Loch in meinem Kopf. Ich erinnerte mich genau daran, wie Mum mich am nächsten Morgen weckte, wie mir der Schädel dröhnte, an den Black Out. Hatte Mum wirklich zugelassen, dass ich so viel soff? Wo ich ja nun wirklich nicht dazu neigte, mir hin und wieder die Kante zu geben. Eigentlich trank ich gar nichts. Aber an diesem Abend musste ich mich regelrecht zugeschüttet haben. Aber warum?
Wie ein Sack Kartoffeln plumpste ich auf die hölzernen Treppenstufen der Veranda und nippte an der mittlerweile pisswarmen Plörre. Möglicherweise hatte mich der Grabscher Egon abgefüllt, in der Hoffnung, mich befummeln zu können, wenn seine Frau gerade woandershin sah. Aber das hätte Erik nicht zugelassen! Und überhaupt … es gab mindestens zwei Personen an diesem Abend, die garantiert nicht zugelassen hätten, dass ich mich abschoss. Mum und Charles waren eh zu sehr damit beschäftigt gewesen, herumzuturteln wie die Großen. Aber Brian und Erik? Donna hätte mich bestimmt gerne rotzevoll durch den Garten hüpfen sehen. Vielleicht hatte sie mich ja heimlich abgefüllt?
Hmm...
Plötzlich schoss von rechts etwas auf mich zu. Ehe ich bewusst wahrnahm, dass es nur ein blöder gelber Ball gewesen war, stand ich schon mit erhobener Flasche, bereit zuzuschlagen, vor einem kleinen Mädchen in einem hellblauen Rüschenkleid. Ihre mandelförmigen, braunen Augen weiteten sich vor Schreck und sie schlug wimmernd die Hände über den Kopf. Ich ignorierte die Tatsache, dass mir die Limonade gerade über den Unterarm lief und starrte die Kleine an. „Wie bist du hier reingekommen?“, knurrte ich, die Flasche immer noch fest in der Hand. Die Kleine deutete mit einer zitternden Hand zum Gartentor, das sperrangelweit offen stand. Ihre perfekten Löckchen schimmerten wie flüssige Vollmilchschokolade in der Sonne. Sie sah aus wie ein kleines Model. Wunderschöne Haut, rosige Wangen, ein süßer Schmollmund und diese niedliche Stupsnase. Wer auch immer sie in das Kleid gesteckt hatte, ich hätte ihn küssen können. Die Kleine sah so hinreißend aus, dass ich mich in meinen Klamotten beschämt wandte. Ebenso beschämt senkte ich die Flasche. Gott, ich war schon so paranoid!
„Oh … okay! Dein … dein Ball liegt da drüben!“, murmelte ich mit rotem Kopf und schlurfte zur Regentonne, um mir das blöde Gesöff vom Arm zu waschen. Mum würde ausflippen, wenn sie den Zuckerwasserfleck auf ihrer Treppe sah. Ich schnappte mir einen kleinen Eimer Regenwasser und spülte anschließend das Zeug von den Stufen.
„Ich bin Henriette!“, stellte sich das Mädchen mit quietschender Stimme vor. So süß sie aussah, ihre Stimme war es jedenfalls
Weitere Kostenlose Bücher