In deiner Hand
Erinnerung an den Fausthieb, den sie Brian verpasst hatte, weil er mich vor ihren Augen küsste, donnerte wie ein Schnellzug durch meinen Kopf. Ich taumelte gegen Brian, der mich immer noch festhielt.
„Du hast es geahnt, nicht wahr?“, flüsterte ich und klammerte mich an Brian. „Du hast irgendetwas geahnt. Deswegen ist er hier. Nicht wahr? Deswegen ist Jenks hier!“
„Lass uns draußen reden, ja?“, bat Brian.
„Nein … ich … ich kann sie nicht allein lassen! Kümmer dich um Annie! Und … und nimm Charles mit!“ Ich hatte ihn gerade erst entdeckt. Er saß leichenblass in einer Ecke am Fenster und starrte meine Mum mit aufgerissenen Augen an. Charles wirkte völlig weggetreten.
„Er hat einen Schock!“, bemerkte Jenks, während er einem weiteren von Mums Hieben auswich. Sie hatte nicht mehr geschrien, jedenfalls nicht aus Schmerzen. Jetzt verfluchte sie nur noch den Blutsauger an ihrem Bett.
„Verry!“, forderte Jenks. Bei der Erwähnung meines Namen verstummte Mum und sah mich hilflos an. Sie streckte schluchzend die Hände nach mir aus.
„Liebling!“ Ich nahm ihre Hände in meine und ignorierte das viele Blut. „Er darf mir mein Baby nicht wegnehmen“, flüsterte sie. Ihre Augenlider blieben immer länger geschlossen. Jenks stand wie ein Raubtier lauernd auf der anderen Seite des Bettes. Sobald Mum eingeschlafen war, krempelte er die Kittelärmel hoch und wies mich an, am Besten einfach wegzusehen.
„Was hast du vor?“, wollte ich wissen und fixierte ihr blasses, eingefallenes Gesicht. Noch vor wenigen Tagen hatte sie so viel gesünder ausgesehen. Jetzt schien sie dem Tod sehr viel näher als dem Leben. Stur klammerte ich mich an ihren Händen fest. Der Vampir würde sie niemals bekommen! Dafür würde ich sorgen!
„Ich muss die Blutung orten und stoppen“, erklärte Jenks in gewichtigem Ton. Er scheuchte die drei Ärzte, die noch im Zimmer waren herum. Keiner von ihnen stellte Fragen. Ich blendete sie alle aus und verlor mich in der Betrachtung meiner Mum und strich ihr fortwährend liebevoll die verschwitzten, blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht. So schlimm die Situation für mich auch war, ich war so unendlich erleichtert, dass Malik seine Finger nicht im Spiel hatte.
„Verry!“, riss mich Jenks aus meinen Gedanken. „Wir müssen sie auf eine andere Station verlegen. Sofort!“
„Warum?“ Ich sah ihn wütend an.
Jenks senkte den Blick. „Ich muss wissen, was mit ihr passiert.“
„Sie ist schwanger! Bist du blind?“, fauchte ich und beugte mich schützend über Mum.
„Wenn wir nicht schnell etwas unternehmen, könnte sie den Fötus verlieren“, knurrte er. „Also bitte lass mich meine Arbeit machen!“ Das saß. Nur ungern ließ ich sie los.
„Kann ich bei ihr bleiben?“, winselte ich wie ein blöder Welpe.
„Nimm es mir nicht übel, aber ich kann dich dort wirklich nicht gebrauchen.“
Er verzog das Gesicht zu einem traurigen Lächeln und löste die Bremsen an dem Bett. Den Infusionsständer hatte einer der anderen Ärzte abgeschraubt und am Kopfteil des Bettes befestigt.
„Versprich mir, dass ihr und dem Baby nichts geschieht!“, flehte ich und grabschte nach Mums schmaler, kühler Hand. „Bitte versprich es mir.“ Jenks seufzte schwer und schob das Bett aus dem Raum.
„Das kann ich nicht und das weißt du. Und jetzt wasch dir die Hände!“ Sein Befehlston nervte über die Maßen, aber ich wusste auch, dass er kein Vollidiot war, dass er Mum helfen wollte. Also hielt ich die Klappe und wartete bis sie mit dem Bett um eine Ecke bogen, erst dann schlurfte ich zurück in das Zimmer und säuberte meine Hände von Mums Blut.
Ihr Geruch hing immer noch schwer im Raum, man könnte meinen sie stünde direkt neben mir. Doch je länger sie fort war, desto kälter wurde es. Irgendwann verschwand auch der dominierende Duft ihres Blutes.
Ich desinfizierte mir die Hände bereits zum x-ten Male ohne es wirklich zu registrieren. Fast zwanghaft streckte ich erneut die Hände nach dem Spender aus, um eine weitere Portion Desinfektionsmittel auf meine Hände zu sprühen. Brian tauchte neben mir auf und umfasste meine Handgelenke.
„Es wird alles wieder gut“, versprach er sanft und zog mich einfach an seine Brust. Steif wie ein Brett stand ich da, spürte seine Körperwärme an meiner Wange. Der Kloß in meinem Hals wurde immer größer.
„Das Baby wird sterben“, schluchzte ich schließlich. Brian erwiderte nichts, er stritt meine Worte nicht ab. Warum auch? Wir beide wussten
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