In deiner Hand
Tränen kullerten über ihre Wangen. Mum benahm sich, als hätte ich ihr gerade ein frisch geschlüpftes Baby präsentiert.
„Ich hatte noch keinen Typen unter mir“, murmelte ich und griff erneut nach der Flasche. Ein Schlückchen mehr konnte nicht schaden.
„Das verstehe ich nicht!“ Sie machte ein begriffsstutziges Gesicht. Ich trank direkt aus der Flasche und stellte sie zurück auf den Tisch. Die goldgelb schimmernde Flüssigkeit schwappte leicht. „Ich bin noch Jungfrau.“
„Gott sei DANK!“, stöhnte sie und griff sich an die Brust. „Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet!“
Das liegt noch vor mir
, schoss es mir durch den Kopf. Nie hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, ob es wehtun würde, wenn Malik mich wandelte. Doch jetzt, da Mum so zufrieden grinsend an ihrer Frühlingsrolle nagte und ihre Augen lebendig funkelten, keimte genau diese Frage in mir auf. Wann und wie sollte ich mich von ihr verabschieden, ohne dass sie Verdacht schöpfte? Wie sollte ich ihr am Tag davor in die Augen sehen, wohl wissend, dass sie niemals erfahren durfte, dass es mich noch gab, dass ich zu einem Monster wie Malik geworden war. Kaltherzig, skrupellos, machtgierig und immer hungrig. Geistesabwesend starrte ich auf das Essen. Der Duft kroch mir wie feuchte Regenwürmer in die Nase. Plötzlich war alles unterlegt mit dem süßen Hauch der Verwesung. Die Esstäbchen in meiner linken Hand fühlten sich eiskalt an. Genau so würde ich sein. Kalt und tot und doch lebendig - wie ein Zombie. Dann würde Mum für mich nur noch einen Snack verkörpern und nicht mehr die Mutter, die ich über alles liebte. Meine Gedärme schlingerten hektisch. Wann würde Malik mich nehmen? Davor? Danach? Oder währenddessen? So wie sie es immer in diesen erotischen Vampirromanen taten? Ich hegte keine heimliche Hoffnung, dass mein erstes Mal schön werden würde. Es würde qualvoll werden, qualvoll und demütigend! Meine Hände begannen so heftig zu zittern, dass die Stäbchen nervtötend oft aneinander klickerten und der Gedanke, dass Malik mein Erster sein würde, ließ mich spontan auf den Wohnzimmerteppich würgen.
„Hübsch“, kommentierte ich den Brei zu meinen Füßen und wischte mir grob über den Mund. „Entschuldige mich, ich glaube, ich möchte ins Bett!“ Ich konnte ihr einfach nicht in die Augen sehen. Mum saß nur mit offenem Mund da und starrte auf mein Rückwärtsessen.
„Okay“, hauchte sie. „Ich mach das schon weg.“ Vermutlich dachte sie gerade, dass ich gelogen hatte und mein Körper die ersten Schwangerschaftssymptome aufzeigte.
Mit einem Umweg ins Badezimmer und einer fünfzehnminütigen Zahnputzaktion, schlurfte ich schließlich ins Bett. Gerade wollte ich mich mit Sack und Pack in die Kissen werfen, als es erneut in meinem Hinterkopf zu zwicken begann. Murrend stapfte ich zurück in den Hausflur und angelte das Skateboard aus der Garderobe. Meine Fingerspitzen strichen nachdenklich über die giftgrünen Schnörkel, die in dunkles Türkis übergingen. Die Verarbeitung war wirklich erstklassisch und äußerst kunstvoll. Keines dieser billigen Boards, die ich immer in der City-Sportabteilung bewundert hatte. Das hier schrie regelrecht nach Handarbeit. Natürlich konnte ich mich auch irren. Immerhin hatte ich davon keinen Plan. Ich fuhr einfach nur gern damit. Ich beschloss das Board mit nach oben zu nehmen. Eigentlich hatte ich nicht beabsichtigt, es auch mit ins Bett zu schleppen. So verrückt war ich für gewöhnlich nicht. Trotzdem kuschelte ich mich unter die Bettdecke, umarmte das Skateboard und strich fast liebkosend über die Symbole und die schneeweißen Hartgummirollen.
Wie erschlagen lag ich da und blinzelte träge. An Einschlafen war trotzdem nicht zu denken. Dafür war einfach zu viel passiert. Ich hörte Mum in der Küche fuhrwerken und zog mir die Bettdecke über den Kopf. „Wie bist du in die Umkleidekabine gekommen?“ Ich sah das Board an und wartete auf eine Antwort, die ich nicht bekommen würde. Einem inneren Instinkt folgend drehte ich es auf den Rücken und suchte die Unterseite nach einer Notiz oder sonstigen Hinweisen ab. Fest stand, dass das Teil unmöglich von Malik war. Der würde vermutlich lieber jeden Skatershop in die Luft sprengen, als mich noch einmal auf so einem Ding fahren zu lassen. Seufzend rollte ich mich auf den Bauch und massierte meine Schläfen. Kalt und hart lag das Brett neben mir, verursachte mir eine Gänsehaut und erinnerte mich ununterbrochen daran, dass
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