In deiner Hand
nur wenige Zentimeter vor mir zum Stehen.
„Hast du sie noch alle?“, brüllte der Typ, der auf der Fahrerseite ausgestiegen war und nun mit dem ausgestreckten Arm auf mich zukam. „Wie kann man nur so behindert sein?“ Sein Speichel sprühte mir ins Gesicht. Ich stand einfach nur reglos da. Seine Worte prallten an mir ab, denn mein Blick haftete voller Entsetzen auf dem Schild auf der anderen Straßenseite. Langsam wandte ich den Blick davon ab und ließ ihn schweifen. Bäume, unzählige davon! Schwarz und turmhoch ragten sie in den nächtlichen Himmel. Mein Verstand spielte mir einen Streich! Eine andere Erklärung gab es nicht für das Schild, auf dem in schwarzen Lettern
Fawkes
stand. Der Ort war fast fünfundzwanzig Meilen von meinem Zuhause entfernt! „Bist du auch noch taub oder was?“, schnauzte der Typ. Wortlos drehte ich mich in die Richtung aus der ich gekommen war und ließ den motzenden Typen stehen.
„Wo zum Teufel warst du?“, schrie Mum hysterisch und riss mich in ihre Arme. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“ Sie zitterte am ganzen Leib.
Ich sollte irgendetwas sagen
, schoss es mir durch den Kopf, aber ich fand nicht die passenden Worte. Meine Füße schmerzten, vermutlich bluteten sie auch. Auf dem Rückweg hatte ich mich bewusst neben der Straße gehalten, damit mich nicht irgendein Trottel über den Haufen fuhr. Mehrmals war ein Wagen im Schritttempo neben mir hergefahren und der Fahrer hatte mich davon zu überzeugen versucht einzusteigen.
„Ich hab Hunger“, murmelte ich, nur um überhaupt etwas zu sagen. Mum strich mir unentwegt durch das Haar und knutschte mein Gesicht ab. Dann führte sie mich wortlos in die Küche. Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen und starrte Gadget an, der sich bei meinem Eintreten vom Stuhl erhoben hatte. „Was macht der denn hier?“ Automatisch wich ich einen Schritt zurück, darauf gefasst, dass er mich anspringen und seinen Beißer in meine Schlagader rammen würde. „Ich habe ihn angerufen“, murmelte Mum und griff nach meiner Hand. „Ich hab mir Sorgen gemacht.“
„Keine gute Idee!“, meinte ich nur, drehte mich um und stürmten die Treppen rauf.
„Verry!“
„Er ist hier nicht willkommen!“, fauchte ich und schlug meine Zimmertür mit der ganzen Wut zu, die mich in diesem Augenblick fest in den Klauen hielt. Zitternd und schnaufend stand ich da und unterdrückte mit ganzer Kraft einen Schrei, der mit einer Verzweiflung aus mir herausbrechen wollte, dass mir die Zähne schmerzten. Ich wollte alles raus lassen, loslassen und endlich wieder das Leben spüren, ohne ständig daran denken zu müssen, dass jeder gottverdammte Mensch in meiner Umgebung ein Vampir sein könnte. Ein Lakai von Malik!
„Aber ich dachte …“ Mum stand vor der Tür und rang hörbar nach Worten. „Ich … ich dachte du vertraust ihm? Du hast ihn doch für mich ausgesucht!“ Ich stöhnte entsetzt und schlug die Hände vors Gesicht.
„Jaja“, zischte ich und wollte gar nicht daran denken, wie versessen ich darauf gewesen war, dass Gadget im Restaurant zu meiner Mum ging und den Fettsack am Hemdskragen nach draußen schleifte. „Verry, bitte … ich weiß nicht mehr weiter …“, flüsterte sie. Das Gefühl kannte ich. In den letzten Stunden war ich sooft in Versuchung geraten mich einfach überfahren zu lassen, dass ich mich irgendwie schon tot fühlte, seelenlos. Wie eine leere Hülle, an den Erdboden genagelt und nicht in der Lage zu entkommen.
„Lass es mich versuchen!“, hörte ich Gadget sagen.
„Okay“, gab Mum nach kurzem Zögern nach. Ihre Schritte waren auf der Treppe zu hören, wurden leiser. Angespannt sah ich zur Tür, darauf gefasst, dass er sie einfach aus den Angeln sprengen würde.
„Lässt du mich rein?“, fragte er stattdessen.
„Und wenn ich keine Lust dazu habe?“ Kaum hatte ich den Satz beendet, schwang meine Zimmertür geräuschlos auf. Gadget blieb auf der Schwelle stehen. Er sah aus wie eine Erscheinung aus einem dieser saucoolen Actionfilme, in denen nur die heißesten Typen mitspielten. Fehlte nur noch die fette Wumme an seiner Hüfte und er hätte einen perfekten Revolverhelden abgegeben. Mir fiel in diesem kurzen Augenblick stummen Betrachtens kein gottverdammter Grund ein, wieso Mum ihn nicht wollte. Ebenso weigerte sich mein Verstand zu akzeptieren, dass Gadget ein gefährliches Raubtier war. Ein Wesen, das sich vom Blut anderer ernährte. Bis dato hatte ich nur beschissene Erfahrungen mit Vampiren gemacht.
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