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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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tot. Er konnte etwas Neues sein und seinen eigenen Weg gehen, nämlich mit der Macht, die man ihm geschenkt hatte.
    So wie ich.
    Die Tür der Kabine wurde geöffnet, und Jack kam herein. Etwas stimmte nicht, das sah ich schon an seinem Blick. Ich wollte aufstehen, hielt jedoch inne, als der alte Mann Grant sah und erstarrte.
    Ich sah Jack an, musterte ihn genau, deshalb blieb mir nichts
verborgen. Weder die Trauer noch die eiskalte Gier, die über sein Gesicht glitt und beinahe ebenso instinktiv und primitiv wirkte wie das Verlangen von Vater Ross, die Nonnen zu verschlingen: das Bedürfnis zu töten, besinnungslos und überwältigend.
    Ich sah ihn atemlos an, selbst dann noch, als Jack seinen Blick von Grant losriss und auf mich richtete.
    Er wusste, was ich so klar wie der helle Tag in seinen Augen gesehen hatte. Er wusste es.
    »Alter Wolf«, flüsterte ich.
    Jack zuckte zusammen und schluckte. »Du musst ihn aufhalten. Liebes Kind, er hat nicht nur einfach versucht, die Seele dieses Mannes zu heilen.«
    Ich blinzelte überrascht und drehte mich dann zu Grant und Vater Lawrence um. Der Priester atmete schneller, und sein Körper zuckte. Ich sah, wie die Haut an seinem Hals bebte, als würden sich die Muskeln darunter verkrampfen. Und die Augen unter den Lidern bewegten sich heftig. Er wurde zu etwas anderem, er verwandelte sich.
    Aus Grants Nase und Mundwinkeln tropfte Blut, es schäumte bei jedem Atemstoß, den er in seine Flöte blies.
    Ich bewegte mich auf ihn zu, doch die Luft fühlte sich plötzlich wie Sirup an. Ich war zu langsam, viel zu langsam. Plötzlich brach die Musik ab, und Grant schwankte. Ich war noch immer zu langsam, als die Flöte schon aus seinen Fingern glitt, zu langsam, viel zu langsam, um ihn aufzufangen, als er rückwärts von dem Bett rutschte.
    Ich fiel neben ihm auf die Knie. Er war so ruhig, sein Gesicht wirkte so schlaff. Ich tastete nach seinem Puls.
    Sein Herz schlug nicht mehr.

17
    I n diesem Augenblick starb ich. Ich starb einen Herzschlag lang, einen innegehaltenen Atemzug, während die Jungs auf meiner Haut brüllten.
    Ich schrie zurück.
    Ich tastete nach Grants Brustbein. Das Medaillon seiner Mutter war im Weg, ich schob es zur Seite. Ich faltete die Hände und massierte seine Brust. Schnell und hart, mit aller Kraft. Ich unterbrach den Rhythmus nur zweimal, um ihm Luft in den Mund zu pusten. Ich schmeckte sein Blut, schluckte es und begann dann von vorn, hämmerte auf seine Brust. Eisiges Entsetzen loderte in mir, mein Körper wurde gefühllos. Ich schrie Grant an, ich kreischte.
    In mir regte sich ein Schatten. Meine Fingerrüstung brannte.
    Dann war Jack da, schob mich zur Seite. Seine Miene wirkte entsetzt, und er war bleich, während seine blauen Augen wie Eis leuchteten. Er legte seine Hände auf Grants Brust und schloss die Augen.
    Ein Pulsieren ließ die Luft wabern, ein lautloses Donnern, und alles in dem Raum schien sich zu heben und wieder zu senken, einschließlich mir selbst. Grant keuchte und bog sich hoch. Er riss die Augen auf.

    Jack wich von ihm zurück. Er sah wie eine Vogelscheuche aus, bestand nur noch aus Haut und Knochen. Ich schob meinen Arm unter Grants Kopf. Er starrte in meine Augen und hustete. Blut spritzte auf mein Gesicht. Ich wischte es zitternd weg und spürte, wie die Jungs die heiße Flüssigkeit durch meine Finger aufnahmen.
    »Du musst in ein Krankenhaus«, sagte ich bebend und sah Jack an. Er schien einem Herzanfall nahe. »Du auch.«
    »Ich brauche einfach nur Ruhe!«, stieß er hervor und lehnte sich gegen das Bett, als wäre sein Schädel zu schwer, um ihn hochzuhalten. »Grant wird sich auch erholen. Vertrau mir, Liebes.«
    Unsinn, hätte ich fast gesagt, aber das Sprechen fiel mir zu schwer. Ich blickte auf Grant herab und sah, dass er mein Gesicht musterte. Seine Augen wirkten, als fokussierten sie nichts, und waren blutunterlaufen.
    »Was ist passiert?«, murmelte er.
    Ich wiegte mich vor und zurück und zählte bis zehn, bevor ich antworten konnte. »Du hast etwas Dummes getan.«
    Grant hob die Hand und berührte ungeschickt mein Gesicht. »Ich bin ohnmächtig geworden?«
    Ich drückte seine Hand an meine Wange. »Dein Herz hat aufgehört zu schlagen.«
    Einen Augenblick lang starrte er mich nur an, dann hustete er krampfhaft. Er spie Blut in seine Handfläche. Ich zog ihn noch enger an mich und beugte mich über seinen kräftigen, großen Körper, der plötzlich sehr zerbrechlich wirkte. Erschreckend zerbrechlich.
    Als ich den

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