In Den Armen Der Finsternis
Blick hob, sah ich, dass mich Jack beobachtete. Ich suchte meine Mutter in seinem Gesicht, dann suchte ich nach mir selbst. Ich suchte in meinem Herzen nach jedem
Gramm von Liebe und Zuneigung, die ich für den alten Mann empfand, und ließ sie in meine Augen und meine Stimme strömen.
»Danke!«, stieß ich hervor.
Jack nickte ernst, ohne ein Wort zu sagen. Aber etwas in seinen Augen erwärmte mich, obwohl mich dieselben Augen nur Minuten zuvor hatten frösteln lassen. Aber ich klammerte mich an die Wärme und genoss sie.
Vater Lawrence bewegte sich auf dem Bett. Ich warf einen Blick über den Rand der Matratze. Der Priester starrte an die Kabinendecke. Von meiner Position aus konnte ich nur wenig von seinem Gesicht erkennen, aber er war bis auf ein leichtes Zucken in seinem rechten Fuß ganz ruhig. Dann rollte sein Kopf zur Seite, und sein Blick wirkte wie in zwei Teile zerrissen: Sein linkes Auge war braun und wie gewohnt, sein rechtes jedoch rot und von Gold gesäumt. Dennoch sah es in seiner Verwirrung sehr menschlich aus. Auf dem Gesicht zeigte sich kein Fell. Er war nur ein ganz normaler Mann.
»He!« Seine Stimme klang heiser. »Ich bin gefesselt.«
»Allerdings.« Ich wünschte, dass ich in diesem Moment nicht mit ihm hätte sprechen müssen. »Wissen Sie, was Ihnen passiert ist?«
Vater Lawrence zögerte und leckte sich die spröden Lippen. »Irgendetwas Böses hat mich berührt.«
Grant gab einen Laut von sich, der ein Lachen hätte sein können. Ich war aber keineswegs amüsiert.
»Sie wurden verwandelt«, sagte ich zu dem Priester und fühlte mich mies, als ich den scharfen Ton in meiner Stimme bemerkte. Doch ich wusste nicht, wie ich es ihm anders hätte sagen sollen. Die Mitteilung Sie wurden in einen Werwolf verwandelt in Watte zu packen, das war fast ebenso absurd wie die
Tatsache, ein Werwolf zu sein, wie auch immer man eine solche Kreatur definieren wollte. Vermutlich gab es keine Vergleichsmöglichkeiten, jedenfalls nicht in letzter Zeit.
Aber als ich Vater Lawrence ansah, um seine Reaktion abzuschätzen, da bemerkte ich, dass er überhaupt nicht auf mich achtete. Er hatte nur Augen für Jack. Er betrachtete ihn mit einem Erstaunen, das jedes Interesse an Fesseln, Booten oder Fell zu überwiegen schien.
»Verdammt!« Der Priester wand sich auf der Matratze. Er ähnelte eher einer fetten Raupe als einem mit Reißzähnen bewehrten Werwolf. »Jack! Was tun Sie denn hier?«
»Wow!«, warf ich ein.
Grant stieß wieder einen Laut aus, aber diesmal hatte es nichts mit Lachen zu tun. Er versuchte sich aufzusetzen, und ich stemmte meine Schulter gegen seinen Rücken, um ihn zu stützen. Er rieb sich die Brust, zuckte zusammen und warf Jack einen langen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit auf Vater Lawrence richtete.
»Huh«, sagte er.
»Jack.« Vater Lawrence ignorierte uns noch immer, während er den alten Mann anstarrte, der schließlich mürrisch über den Rand des Bettes starrte. Er zögerte wie ein Mann, dem man gleich zwischen die Augen schießen oder einen Schuh an den Kopf werfen würde.
»Hallo, Frank«, antwortete Jack freundlich. »Die Welt ist klein.«
Mein Kopf drohte zu explodieren. »Ihr beiden kennt euch? Wie um alles in der Welt ist das denn möglich?«
Vater Lawrence’ Blick wirkte beunruhigend: die sich unterscheidenden Farben seiner Augen verliehen ihm ein etwas verrücktes Aussehen. »Jack Meddle war mein Professor in Princeton,
bevor ich mich entschied, mein Leben … Gott zu widmen. Seitdem sind wir in Verbindung geblieben.« Er machte eine Pause und richtete den Blick wieder von mir auf den alten Mann. »Woher kennt ihr euch?«
Ich hatte keine Ahnung, was ich antworten sollte. Grant beugte sich vor und schüttelte den Kopf.
»Frank«, sagte Jack sehr ruhig. »Ich habe einen Fehler gemacht. Und zwar einen ungeheuerlichen Fehler.«
Ich hörte Schritte vor der Kabine - und im nächsten Moment flog die Tür auf. Aus irgendeinem Grund hatte ich Mary erwartet, aber es war dann doch Killy, die atemlos den Kopf hereinsteckte. Ihr Blick zuckte über Grant, Jack und mich hinweg, bevor er sich wie ein Bleigewicht auf Vater Lawrence senkte.
Sie sagte nichts. Und sie tat auch nichts. Sie sah ihn einfach nur an. Ihre Augen wurden von einer schrecklichen Hitze verdunkelt. Vater Lawrence lag in seinen Fesseln auf dem Bett und erstarrte unter diesem prüfenden Blick. So als käme ihr Anblick ebenso unerwartet wie der von Jack, und wäre dazu noch furchteinflößend. Ob er
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