In den Armen der Nacht
Klemme - und hatte nicht den Hauch einer Ahnung.
Irrtum. Tasya wusste genau, dass sie in der Klemme steckte. Sie stand in Mrs. Reddenhursts altertümlichem Bad. An das von feinen Haarrissen durchzogene weiße Porzellanwaschbecken gelehnt, starrte sie im Spiegel in ihre dunkel verschatteten Augen.
Am Morgen hatte Ruriks Vorschlag, in einem B&B zu übernachten, ganz plausibel geklungen. Nachdem sie dem Tod ganz knapp entronnen war. Eine Explosion und einen Höhleneinsturz überlebt hatte. Heute Morgen hatte sie geglaubt, sie käme mit allem klar, selbst mit Rurik und seinen schamlosen Flirtattacken.
Mittlerweile fror sie seit Stunden, ihr knurrte der Magen und sie musste die Rolle der flitternden Braut spielen … von Frankensteins Monster.
Okay, Rurik sah absolut nicht aus wie Frankensteins Monster, trotzdem hatte er das Zeug zu einem Ungeheuer. Als er bei ihrem ersten Mal in sie eingedrungen war, hatte Tasya sich völlig verändert.
Das lag nicht zwangsläufig an seiner monstermäßigen Erektion. In jener Nacht hatte es Tasya weitaus mehr geschockt, wie er auf ihr ängstliches Stöhnen reagiert hatte. Sie hatten sich auf dem Bett gewälzt, beide splitternackt, und jeder andere Typ hätte rücksichtslos weitergemacht. Rurik dagegen hatte ihre Panik gespürt. Er hatte aufgehört, sich Zeit für sie genommen. Er hatte sie zärtlich geküsst, mit den Fingerspitzen ihre Knospen massiert, ihren flachen Bauch gestreichelt, ihre Schenkel … Er wusste um die geheimen Wünsche einer
Frau. Als er ihre Klitoris stimuliert hatte … wow, da war sie gekommen, und dann war er in sie eingedrungen und hatte ihr demonstriert, was ein multipler Orgasmus war.
Rurik war ein Womanizer, er bekam vermutlich immer, was er wollte, und er war scharf auf sie. Oh, und, Tasya, vergiss nicht, dass er stocksauer auf dich ist, weil du ihm nachher die kalte Schulter gezeigt hast.
Okay, den Schuh musste sie sich anziehen, aber doch bloß, weil sie zu viel von sich preisgegeben hatte, und das tat Tasya Hunnicutt sonst nie.
Das Schlimme war, dass ihr Adrenalinspiegel in die Höhe schoss, wenn sie Rurik bloß sah. Ihre Hormone spielten verrückt, sie war scharf auf ihn und hätte sich am liebsten die Kleider vom Leib gerissen und ihn verführt.
Sie drehte den Hahn auf und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Nahm das Handtuch, betupfte sich damit das Gesicht und blinzelte sich im Spiegel an.
Sie sah immer noch zum Gruseln aus.
Weil sie ihm schleunigst die Wahrheit würde beichten müssen.
Nein, nicht die ganze Wahrheit. Die erzählte sie nie. Aber immerhin so viel, um ihm begreiflich zu machen, dass sie für die Explosion verantwortlich war. Wenn er auch nur einen Funken Grips im Hirn hatte, würde er künftig einen Riesenbogen um sie machen.
Sie reckte trotzig ihr Kinn.
Vermutlich war sie tot, bevor das hier alles zu Ende war. Wenn es ihr jedoch glückte, genügend Informationen über diese verdammten Varinskis zusammenzutragen,
dann würde die Gerechtigkeit siegen; dann würden Yerik und Fdoror Varinski in Sereminia wegen Mordes und Betruges verurteilt. Wenn sie in diesem Zusammenhang starb, dann mit dem guten Gewissen, dass sie den Varinski-Clan vernichtet und ihr tausendjähriges Terrorregime beendet und sie ihre Rache hatte.
Sie blickte auf ihren Rucksack, der am Boden stand. Ihre Kamera war unversehrt und die Fotos im Memoryspeicher.
Plötzlich wurde sie von einer Woge panischer Hektik erfasst. Könnte sie doch bloß sehen, welche Beweise sie im Einzelnen gesammelt hatte!
Sie spähte zur Tür, überlegte, ob Mrs. Reddenhurst ihr vielleicht den Computer überlassen würde, damit sie die Fotos bearbeiten könnte.
Mist. Mist. Mist. Die bearbeiteten Fotos nutzten ihr gar nichts, wenn sie es nicht schaffte, lebend aus Schottland herauszukommen.
Sie würde sich optisch verändern müssen. Aber wie?
Tasya öffnete Mrs. Reddenhursts Medizinschränkchen und wühlte gefrustet darin herum: Schachteln mit Wattestäbchen, eine Tube Rheumasalbe und eine mit Hämorrhoidencreme, diverse Pinzetten, Handlotionen, Heftpflaster … Es schien, als wären die segensreichen Erfindungen der Kosmetikindustrie spurlos an ihrer Pensionswirtin vorbeigegangen.
Im hintersten Winkel entdeckte Tasya schließlich etwas Brauchbares. Sie inspizierte die zerdrückte Schachtel - das Verfallsdatum war lange abgelaufen - und entschied: Das war ideal. Absolut ideal.
Damit konnte sie ihr Aussehen verändern und sich
Rurik vom Leib halten. Rurik würde ihre
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