In den Armen des Feindes
ließ ihr Blut kochen. "Ich habe jedes Mitglied meiner Familie verloren durch Eure …"
"Was?" Das Wort war nur ein leises Flüstern in der Nachtluft.
"Habt Ihr noch nicht davon gehört? Wenn Ihr nicht so damit beschäftigt wärt, meinen Besitz zu verwalten und jede meiner Handlungen zu bestimmen, hättet Ihr vielleicht mehr von dem mitbekommen, was um Euch herum vorgeht." Sie atmete schwer. So aufgebracht war sie nicht mehr gewesen, seit … ach was, noch nie. Noch nicht einmal, als ihre Familie getötet worden war, hatte sie sich erlaubt zu rasen und zu toben. Sofort nach deren Tod hatte sie sich darum kümmern müssen, Ordnung in das Chaos zu bringen, das das Feuer hinterlassen hatte. Und später, nachdem alles wiederhergestellt worden war, wen gab es da, mit dem sie hätte zornig sein können? Keiner der Verbrecher war je vor Gericht gestellt worden. Ein Teil von ihr fühlte sich fast erleichtert durch den Wutausbruch. Er hatte etwas ungeheuer Befreiendes.
Malcolm kniff misstrauisch die Augen zusammen. "Ihr verlort jedes Mitglied Eurer Familie?"
Da dämmerte es Rosalind. Ihr lang unterdrückter Zorn hatte ihr einen Streich gespielt. Einen kurzen Moment lang dachte sie daran zu lügen, aber dazu war es schon zu spät. Malcolm musterte ihr Gesicht, und sie zweifelte nicht daran, dass dieses scharfsinnige Ungeheuer bereits wusste, warum sie mit ihrer Antwort zögerte.
Sie lehnte sich gegen den schlanken Stamm eines Pflaumenbaums, und während sie sich noch über sich und ihre unbedachten Worte ärgerte, gestand sie ihm endlich die Wahrheit. "Mein Bruder ist tot."
Misstrauisch sah er sie aus zusammengekniffenen Augen an. "Was ist das schon wieder für ein Trick?"
Sie schüttelte den Kopf. Der vertraute Anblick des Gartens tröstete sie ebenso wie die süßen Düfte, die sie jetzt tief einatmete. Sie beruhigten sie. "Das ist die Wahrheit. Am Tag der Belagerung führte ich Euch an der Nase herum, als ich wie ein Mann gekleidet von den Zinnen herab mit Euch sprach. Seit mein Vater und mein jüngerer Bruder vor drei Jahren gestorben sind, hat es keinen Herrn mehr auf Beaumont gegeben."
"William?"
Sie nickte nur. Sie wollte nicht weiter über Wills Tod reden. Auch drei Jahre danach schmerzte es sie immer noch tief. Er war ein schönes Kind gewesen – gesund, gewitzt, viel versprechend. Rosalind betrachtete eine regennasse Rose und versuchte, die qualvolle Erinnerung zu unterdrücken. "Er war erst zwölf Jahre alt."
"Das tut mir Leid." Malcolm duckte sich unter einem tief hängenden Ast des Obstbaumes hindurch und griff nach ihr. Vielleicht wollte er sie trösten, doch das konnte sie nicht zulassen. Nicht, wo seine Landsleute schuld waren an dem sinnlosen Tod so vieler Menschen. Außerdem wollte sie nicht mit ihm über das Feuer von Beaumont sprechen, aus Angst, noch mehr Schwäche zu zeigen. Schlimm genug, dass sie die Kontrolle über ihren Zorn verloren hatte. Sie wollte nicht, dass er in dieser Nacht Zeuge von noch mehr lang unterdrückten Gefühlsregungen wurde.
Malcolm schien in ihrem Gesicht nach Anzeichen zu suchen, dass sie die Unwahrheit sagte. Schließlich nickte er. Offensichtlich war er mit ihrer Erklärung zufrieden.
"Dann wart Ihr das also die ganze Zeit." Er schlenderte mit nachdenklich gerunzelter Stirn durch den dunklen Garten. Mit einem Mal blieb er stehen, um eine kleine Blume zu berühren. "Was ist das hier für ein kleines Unkraut?"
"Wohl kaum ein Unkraut." Rosalind blieb wachsam, weil er so plötzlich das Thema wechselte. "Das ist die echte Rüsterstaude, man nennt sie auch Wiesenkönigin."
"Zwischen Euren Rosen sieht sie nicht gerade wie eine Königin aus." Malcolm bückte sich, um an der Blüte zu riechen. "Auch wenn ihr Duft wirklich angenehm ist."
"Zwischen den Wiesenblumen, wo sie normalerweise wächst, erregt sie weit mehr Aufmerksamkeit. Aber sie ist ein wichtiges Kraut, und ich habe gerne zu Heilzwecken einen frischen Vorrat davon."
"Hat Euch Eure Mutter diese Kunst gelehrt?"
Rosalind nickte und wartete darauf, dass er auf ihr Täuschungsmanöver reagierte. War er zornig? Er musste es sein, doch er ging zwischen den Blumen umher, als wäre der Garten seine einzige Sorge.
"Da Ihr zur Dame erzogen wurdet, wisst Ihr gewiss eine Menge über die Heilkunst, aber Ihr wisst nicht viel über die Verteidigung einer Burg."
Das saß. "Ich habe meine Sache ganz gut gemacht, bevor Ihr aufgetaucht seid."
"Nur, weil der Himmel Euch gnädig gesonnen war, wegen nichts anderem."
"Ihr
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