In den Armen des Schotten
und im Innern keine Bewegung zu erkennen war. Aber der Junge wehrte sich, trat und schrie und versuchte weiter, zu seiner Familie zu kommen. Er verbrannte sich die Hände, und der Fahrer zerrte ihn schließlich eine halbe Meile weit die Straße runter, um die Kurve herum, sodass man den Unfallort nicht mehr sehen konnte. Er musste ihn mit all seiner Kraft festhalten, während sie auf ein anderes, vorbeifahrendes Auto warteten.«
Megan wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von den Wangen. »Und im Unfallbericht stand, dass der Junge Coyote Stone hieß?«, fragte sie, und der Hals brannte ihr vor unterdrückten Gefühlen.
Carl Franks stand auf, nahm den Bericht, den er auf den Tisch gelegt hatte, und trat vor den Kamin, während er sich einen Finger in den Kragen steckte, um die Krawatte zu lockern. Er ging die Seiten des sauber getippten Berichts durch.
»Coyote Stone wurde nach Edmonton gebracht, und eine Sozialarbeiterin änderte seinen Namen in Jack um, weil sie hoffte, dass er so eher adoptiert werden würde. Aber der Junge«, fuhr er fort, schaute kurz auf und dann schnell wieder in seinen Bericht, »der zu dem Zeitpunkt neun war, lief seiner Pflegefamilie weg. Man fand ihn zehn Tage später wieder, als er gerade eine Straße entlangging, die nach Norden führte.« Wieder schaute er auf und schüttelte verwundert den Kopf. »Der Junge hatte mehr als die Hälfte des Wegs nach Medicine Lake hinter sich gebracht. Danach brachten sie ihn noch in mehreren anderen Pflegefamilien unter, aber er lief jedes Mal weg. Man hatte den Verdacht, dass ihm das letzte Mal sein Urgroßvater geholfen hatte. Man hörte und sah nichts mehr von Jack Stone, bis er fünfzehn war«, erzählte Carl, der jetzt nicht mehr in seinen Bericht schaute. »Doch als sie ihn diesmal in eine Pflegefamilie steckten, verschwand er wieder, und den nächsten Hinweis auf ihn fand ich erst wieder, als er mit zwanzig in die kanadische Armee eintrat.«
Carl trat wieder an den Tisch und legte den Bericht zurück. »Es steht alles da drin, Miss MacKeage. Ich habe genau getan, um was Sie mich gebeten haben, und war sehr gründlich. Das Einzige, was ich nicht herausfinden konnte, ist, was er bei der Armee gemacht hat. Diese fünf Jahre werden geheim gehalten.« Langsam wandte er sich der Tür zu. »Ich schicke Ihnen einfach eine Rechnung, okay? Ich finde selbst hinaus«, sagte er und verließ den Raum.
Megan starrte den Bericht an und machte sich längst nicht mehr die Mühe, die Tränen, die über ihre Wangen strömten, wegzuwischen. Jack hatte sie kein einziges Mal bezüglich seiner Kindheit angelogen; er hatte nur die herzzerreißenden Einzelheiten weggelassen. Sie schlang die Arme um ihren Bauch und wusste plötzlich, dass sie ihren Sohn Walker nennen würden … nach Coyote Stones älterem Bruder.
Was musste einem neunjährigen Jungen durch den Kopf gegangen sein, als er so etwas hatte mit ansehen müssen? Machte er sich für ihren Tod verantwortlich, weil sein Vater angehalten und ihn wegen seiner Prügelei mit seinem Bruder unter einen Baum gesetzt hatte? War er deshalb ein selbsternannter Pazifist?
Und dann diese zehn Tage, die er zu seinem Urgroßvater unterwegs gewesen war … wovon hatte er sich da ernährt? Wo hatte er geschlafen? Er war bestimmt bei irgendj emandem mitgefahren. Aber wer nahm einen neun Jahre alten Jungen mit, ohne die Polizei anzurufen?
Es klopfte an der Tür, die sich gleich darauf öffnete. »Jemand hat mir gesagt, dass ich dich hier finden würde«, erklärte Jack und kam auf den Schreibtisch zu. »Gibt es einen Grund dafür, dass du mir nichts – Megan! Was ist los?«, fragte er, eilte um den Tisch herum und hockte sich vor sie. »Du weinst ja! Warum? Was hat dir dieser Mann erzählt?«
Jetzt konnte sich Megan nicht länger zusammennehmen, warf sich schluchzend in Jacks Arme und klammerte sich an ihn.
»Megan! Was ist passiert, mein Liebling?«, fragte er, während er sie fest an sich drückte. »Sag mir, was passiert ist!«
»M … meine Antwort ist Ja, Jack«, sagte sie zwischen zwei Schluchzern. »Ja, ich will dich heiraten. Morgen schon, wenn du willst. Oder gleich jetzt. Wir suchen Vater Daar auf und heiraten heute Abend.«
»Und deshalb weinst du?«, fragte er glucksend, während er versuchte sich zurückzulehnen, um ihr in die Augen zu schauen. Aber als sie sich weiter an ihn klammerte, seufzte er leise und hielt sie einfach nur fest, während ihr Kopf unter seinem Kinn ruhte und er sie sanft wiegte.
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