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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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haben?«, versuchte Monk es noch mit einer letzten Frage zu dem Thema.
    Alle drei sahen ihn verwirrt an.
    »Den Anhängern der Union geht es um die Abschaffung der Sklaverei«, erläuterte Monk, »und sie kämpfen darum, alle Staaten Amerikas zu einem Land zu vereinen.«
    »In England gibt es keine Sklaven«, erklärte Sandy.
    »Wenigstens keine Schwarzen«, fügte er verschmitzt hinzu. »Manche meinen zwar, es ginge ihnen schlecht, aber was sollen wir uns um die Staaten in Amerika scheren? Ich sage, die sollen doch tun, was sie wollen.«
    Bert schüttelte den Kopf. »Ich bin gegen Sklaverei. Die ist nicht richtig.«
    »Ich auch«, nickte der erste Mann. »Ich weiß zwar nicht, ob Shearer sich darum kümmerte, aber sicher nicht so sehr, dass er dafür jemanden umgebracht hätte.«
    »Wissen Sie, wo Shearer wohnt?«, fragte Monk die Männer.
    »In der New Church Street, gleich an der Bermondsey Low Road«, erwiderte Bert. »Die Nummer weiß ich zwar nicht, aber sie endet mit einer Drei, wenn ich mich recht erinnere. Ungefähr auf halber Höhe.«
    »War er verheiratet?«
    »Shearer? Glaub ich nicht.«
    Monk dankte den Männern und verließ den Hof, um sein Glück in der New Church Street zu versuchen.
    Er brauchte fast eine halbe Stunde, um herauszufinden, wo Shearer gewohnt hatte. Dort fand er eine erzürnte Vermieterin, die drei Wochen auf die Miete gewartet hatte.
    »Hat fast neun Jahre hier gewohnt, der Kerl«, rief sie kämpferisch. »Dann macht er sich weiß Gott wohin aus dem Staub, und das alles, ohne ein Sterbenswörtchen verlauten zu lassen oder sich zu verabschieden. Sagt nichts, zu niemandem und lässt seinen ganzen Kram hier, damit ich ihn forträumen kann! Hab schon drei Wochen Miete verloren, ja, das hab ich!« Sie starrte Monk an.
    »Sind Sie denn ein Freund von ihm?«
    »Nein.« Hastig griff Monk nach einer Lüge. »Er schuldet auch mir Geld.«
    Sie lachte schrill. »Na, hier haben Sie jedenfalls keine Chance, weil ich nichts habe, und das bisschen, das ich bekomme, wenn ich seine Kleider an den Lumpensammler verkaufe, teile ich mit niemandem, das sage ich Ihnen gleich.«
    »Glauben Sie denn, dass ihm etwas zugestoßen ist?« Ihre dünnen Augenbrauen schossen in die Höhe.
    »Dem? Unwahrscheinlich! Den legt keiner so schnell aufs Kreuz! Hat was Besseres gefunden, denk ich. Oder die Bullen sind hinter ihm her.« Sie betrachtete Monk von oben bis unten.
    »Sind sie etwa einer, ein Bulle, meine ich?«
    »Ich sagte Ihnen doch, er schuldet mir Geld.«
    »Tatsächlich? Na, ich hab noch nie einen Bullen erlebt, der sich an die Wahrheit gehalten hat. Aber wenn er Ihnen Geld schuldet, schätze ich, kriegt er Schwierigkeiten, wenn Sie ihn finden. Den Eindruck machen Sie mir jedenfalls.«
    Monk erinnerte sich plötzlich, dass irgendjemand ihm gegenüber schon einmal diese Worte gebraucht hatte. Solche Erinnerungsblitze an die Zeit vor seinem Unfall wurden immer seltener, und er versuchte auch nicht mehr, sie aktiv heraufzubeschwören oder sie festzuhalten. Was die Frau gesagt hatte, entsprach vielleicht der Wahrheit. Er selbst konnte schlecht verzeihen, und wenn ihn jemand betrogen hätte, hätte er den Missetäter bis ans Ende der Welt verfolgt und Rache genommen. Aber das war vor langer Zeit. Dann war seine Kutsche umgestürzt und hatte ihn seiner gesamten Vergangenheit beraubt. Das war im Sommer 1856 gewesen. In den fünf Jahren, die seither vergangen waren, hatte er sich ein neues Leben aufgebaut und sich eine neue Garnitur von Erinnerungen und Charaktereigenschaften zugelegt.
    Er dankte der Frau und verabschiedete sich. Hier konnte er nichts mehr in Erfahrung bringen. Shearer war verschwunden. Wichtig war jetzt, herauszufinden, wohin er gegangen war und warum. Morgen würde er mit Dockarbeitern und Kahnführern sprechen, die ihn möglicherweise gekannt hatten. Vielleicht würde er ja sogar den Kahn ausfindig machen, der die Musketen flussabwärts gebracht hatte. Dann würde er zu den Reedereien gehen, mit denen Shearer eventuell verhandelt hatte, um Albertons Waffen zu exportieren, oder womit er sonst noch gehandelt hatte. An dem Abend erzählte er Hester einen Teil dessen, was er erfahren hatte.
    »Denkst du, es war Shearer, der Mr. Alberton ermordete?«, fragte sie mit einem Hoffnungsschimmer in der Stimme.
    Sie saßen am Tisch und verzehrten ein Mahl, bestehend aus kalter Hühnerpastete und frischem Gemüse. Er bemerkte, dass sie ein wenig müde wirkte.
    »Wo warst du den ganzen Tag?«, fragte

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