In den Fängen der Macht
auftritt und sie an höchst unerwünschte Partner verkauft.«
Judiths Gesicht zeigte keinerlei Verständnis für den Grund von Hesters Frage.
»Sie lehnten ab, aber sie erbaten die Hilfe meines Mannes, um herauszufinden, wer diese Forderung gestellt hatte. Der Brief war anonym und beinhaltete Drohungen.«
»Drohungen?«, rief Judith hastig. »Haben Sie die Polizei informiert? Sicher sind sie es, die für alles verantwortlich sind…«
»Aber es ist Mr. Breeland, der die Waffen hat, die gestohlen wurden.«
»Oh, ja, natürlich. Es tut mit Leid. Aber warum fragen Sie dann nach diesen Leuten?«
Wieder begnügte Hester sich mit einer Halbwahrheit.
»Ich bin nicht ganz sicher. Ich habe nur das Gefühl, dass das zeitliche Zusammentreffen und der Umstand, dass es in beiden Fällen um Waffen ging, bedeuten könnte, dass hier ein Zusammenhang besteht. Wir müssen alles in Erfahrung bringen, was nur möglich ist.«
»Ja, ich verstehe. Wie kann ich Ihnen helfen?« Judith zeigte keinerlei Unentschlossenheit. Aufmerksam beugte sie sich über den Tisch.
Hester hasste es, das Thema anzuschneiden, aber hier ging es um einen lange zurückliegenden Verlust, den man ansprechen musste, um vielleicht einen neuen zu vermeiden.
»Ich glaube, Sie haben Ihren Bruder unter sehr schmerzlichen Umständen verloren…«
Sie sah, wie Judith zusammenzuckte und die Farbe aus ihren Wangen wich. Doch Hester machte keinen Rückzieher. »Bitte erzählen Sie mir wenigstens die wichtigsten Teile der Geschichte. Ich frage nicht leichtfertig.«
Judith senkte die Lider. »Ich bin Halbitalienerin. Ich denke, Sie wussten, dass ich keine reine Engländerin bin. Mein Vater stammte aus dem Süden, aus der Gegend um Neapel. Ich hatte nur einen Bruder, Cesare. Er war verheiratet und hatte drei Kinder. Er und seine Frau, Maria war ihr Name, liebten das Segeln.«
Ihre Stimme klang gepresst, und sie sprach leise. »Vor sieben Jahren wurde ihr Schiff vor der Küste Siziliens von Piraten geentert. Seine ganze Familie wurde getötet.« Sie schluckte krampfhaft. »Ihre Leichen wurden gefunden… später. Ich…« Sie schüttelte den Kopf. »Daniel fuhr damals nach Italien. Ich nicht. Er wollte mir keine Details erzählen. Ich fragte… aber ich war froh, dass er ablehnte. Seinem Gesicht entnahm ich damals, dass es grauenhaft gewesen sein musste. Bisweilen träumte er… ich hörte ihn in der Nacht aufschreien, dann wachte er auf, und sein Körper war völlig verkrampft. Aber er weigerte sich stets, mir zu erzählen, was mit ihnen passiert war.«
Hester versuchte, sich die Last des Grauens vorzustellen, das Alberton begleitet hatte, und die Liebe, die er für seine Frau empfunden hatte und die ihn nach Sizilien geführt und dann all die Jahre hatte schweigen lassen. Und doch hatte er immer noch mit Waffen gehandelt! Hatte er es getan, weil er der Meinung war, dass sie auch für gute Zwecke eingesetzt wurden, um für gerechte Belange zu kämpfen, die Schwachen zu verteidigen oder ein Gleichgewicht zwischen Ländern herzustellen, die andernfalls zu dominierend geworden wären?
Oder war es schlichtweg das einzige Geschäft, von dem er etwas verstand, oder das profitabelste? Vermutlich würden sie es niemals erfahren. Sie wünschte sich, glauben zu können, es sei einer der ersten Gründe gewesen.
»Wie lange war er fort gewesen?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht. Fast drei Wochen«, antwortete Judith.
»Damals kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Ich vermisste ihn schrecklich, und natürlich hatte ich Angst um ihn. Aber er war entschlossen, alles zu tun, um die Piraten ausfindig zu machen und bestraft zu wissen. Er hörte von ihnen, aber sie entwischten ihm immer wieder. Und die Polizei hatte keinerlei Interesse daran, sie zu finden.« In ihre Augen trat der Ausdruck der Liebe und der flüchtige Schatten des Kummers. »Italien, das bedeutet Kultur, Sprache, große Kunst und eine bestimmte Lebensart, aber Italien ist keine Nation. Eines Tages mag es das werden, wenn Gott es so will, aber diese Zeit ist noch nicht angebrochen.«
»Ich verstehe.«
Judith lächelte. »Nein, das tun Sie nicht. Sie sind Engländerin, verzeihen Sie mir, aber Sie haben keinerlei Ahnung davon. Auch Daniel hatte die nicht. Er tat alles in seiner Macht Stehende, und als er erkannte, dass die Piraten einfach irgendwo in den Hunderten von Meilen, die die Küste lang ist, und zwischen Tausenden von Inseln zwischen Konstantinopel und Tanger verschwinden konnten, kehrte er nach Hause zurück,
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