In den Fängen der Macht
dass Rathbone wünschte, er hätte ihn gewarnt, wie teuer ihn dieses Verhalten zu stehen kommen könnte.
Merrit dagegen sah jung und verängstigt aus, und sehr verletzlich. Ihre Haut war blass, ihre Augen blau umschattet, und ihre Hände klammerten sich so heftig um die Brüstung, dass man leicht glauben könnte, sie hielte sich fest, um sich davor zu bewahren, von der Bank zu fallen. Während Rathbone sie beobachtete, straffte sie die Schultern, hob das Kinn leicht an und sah zu Breeland auf. Zögerlich streckte sie die Hand aus und berührte seinen Arm.
Der Anflug eines Lächelns bewegte seine Lippen, aber er sagte kein Wort zu ihr. Vielleicht wollte er nicht, dass das Gericht etwaige Gefühle in ihm wahrnahm. Vielleicht war er auch der Auffassung, Liebe sei eine private Angelegenheit, die er nicht mit jenen teilen wollte, die gekommen waren, ihn anzustarren und zu verurteilen.
Rathbone war sich Judith Albertons Anwesenheit bewusst, wie auch die meisten der anderen Menschen im Gerichtssaal. In ihrer Haltung und dem, was von ihrem Gesicht zu sehen war, lag eine bemerkenswerte Schönheit. Er sah, wie sich die Menschen gegenseitig anstießen, als sie eintrat, und mehrere Männer waren unfähig, ihre Bewunderung für die Frau und das Interesse an ihr aus ihren Gesichtszügen zu bannen.
Rathbone fragte sich, ob sie es gewöhnt war, angestarrt zu werden, oder ob es ihr Unbehagen bereitete. Sie sah Merrit an, die immer noch zu Breeland gebeugt war, dann suchte sie Rathbones Blick. Es war nur ein flüchtiger Blick, dann setzte sie sich, und er konnte ihre Augen durch den Schleier nicht erkennen. Er stellte sich die Verzweiflung vor, die sie empfinden musste. All die Hilfe, die andere Menschen ihr gaben, konnte die Einsamkeit und die Angst vor diesen Tagen nicht lindern.
Hester war bei ihr. Sie war in dunkle, sanfte Grautöne gekleidet, und das Licht spielte auf ihrer hellen Haut und einem kleinen weißen Spitzenkragen. Den Schwung ihres Halses und die ihr eigene Kopfhaltung hätte er überall erkannt. Die größte Schönheit der Welt hätte seinen Atem nicht mit einem solchen Schmerz von Vertrautheit zum Stocken bringen können.
Rathbone sah, wie Breeland sich plötzlich versteifte und der Ausdruck äußerster Missachtung sein Gesicht überzog. Rathbone folgte seinem Blick. Ein schlanker, dunkelhaariger Mann hatte den Saal betreten und bahnte sich seinen Weg zu einem freien Platz am Rand der Sitzreihen. Er bewegte sich mit ungewöhnlicher Grazie und verursachte keinerlei Geräusch und setzte sich auf einen Platz, der es nicht nötig machte, sich bei jemandem zu entschuldigen. Seine auffallenden Augen studierten Judith Alberton, obwohl ihm die Sonne geradewegs in die Augen schien und er ihr Gesicht nicht sehen konnte.
Rathbone fragte sich, ob das Philo Trace war. Dass es nicht Casbolt war, wusste er, da er ihn bereits kennen gelernt hatte.
Ihm gegenüber auf der anderen Seite des Gangs erhob sich Horatio Deverill, um die Verhandlung zu eröffnen. Er war ein großer Mann, in seiner Jugend war er schlank gewesen, jetzt aber rundete er sich um die Leibesmitte. Seine einst schönen Gesichtszüge waren gewöhnlicher geworden, drückten aber immer noch Kraft und Charakterstärke aus. Aber es war seine Stimme, die Aufmerksamkeit gebot und einen förmlich zwang, ihm zuzuhören. Sie war kräftig, galt als sein Markenzeichen, und er hatte eine perfekte Aussprache. Schon unzählige Geschworene waren von ihr wie hypnotisiert gewesen. Niemand ließ seine Gedanken wandern, wenn er das Wort ergriff.
»Gentlemen«, begann er und lächelte den Geschworenen zu, die aufrecht und verlegen auf ihren hohen, geschnitzten Stühlen saßen. »Ich werde Ihnen nun von einem abscheulichen und schrecklichen Verbrechen berichten. Ich werde Ihnen vor Augen führen, wie ein ehrenwerter Herr, einer wie Sie und ich, einer Verschwörung zum Opfer fiel, um erst beraubt und dann ermordet zu werden, wegen der Beschaffung von Waffen für einen tragischen Konflikt, der im Moment in Amerika ausgetragen wird, Bruder gegen Bruder.«
Im Saal erhob sich ein Raunen des Schreckens und der Anteilnahme.
Rathbone war nicht überrascht. Er hatte damit gerechnet, dass Deverill auf jede gefühlsmäßige Reaktion setzen würde, die er nur erzielen konnte. Er war ebenfalls dazu in der Lage, würde er annehmen, damit einen Fall gewinnen zu können. Kleine Etappensiege waren ihm gleichgültig, ihn interessierte lediglich der Urteilsspruch.
»Und ich werde Ihnen
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