In den Fängen der Macht
sind beide Engländerinnen, die von denselben Umständen eingeholt wurden, weit fort von zu Hause und mit denselben Auffassungen über Sklaverei wie über die Pflege der Verwundeten.«
Trace war immer noch im Zweifel. »Sind Sie sicher?«, fragte er Hester.
»Ganz sicher«, antwortete sie spontan. »Haben Sie je eine Schlacht miterlebt?«
»Nein.« Plötzlich wirkte er verletzlich, als ob sie ihn unbeabsichtigt verpflichtet hätte, endlich die Realität des bevorstehenden Krieges zur Kenntnis zu nehmen.
»Ich werde am Morgen anfangen«, sagte sie einfach. Trace straffte sich. »Gott sei mit Ihnen. Gute Nacht, Ma’am.«
Für Hester war es genauso leicht, wie Monk es prophezeit hatte, sich den Bemühungen der unzähligen Frauen anzuschließen, die versuchten, dem einzigen Lazarettarzt, der jedem einzelnen Regiment zugeteilt wurde, Hilfe zu leisten und Nachschub näher an das Schlachtfeld zu transportieren, das fast dreißig Meilen entfernt war. Sie fragte sich durch, half, wo es nötig war, wofür diese optimistischen, herzensguten und unschuldigen Frauen stets dankbar waren, und schließlich befand sie sich mit Merrit Alberton im selben Hof. Sie reichten zusammengerollte Leinenbandagen auf einen zweirädrigen Lastkarren hinauf, der dazu dienen würde, die Verletzten an den nächsten Ort zu bringen, an dem es ihnen gelingen würde, ein Lazarett aufzubauen. Rundherum war es schmutzig, und es war erbärmlich heiß. Die Luft schien zu dick zum Atmen zu sein und schien die Lungen zu verstopfen, als wäre sie warmes Wasser.
Es dauerte einen Augenblick, bis Merrit Hester erkannte. Zunächst war sie nur ein weiteres Paar Arme, eine weitere Frau mit zurückgebundenem Haar, aufgerollten Ärmeln und auf dem Boden schleifenden, vom Staub der Straßen verschmutzten Röcken.
»Mrs. Monk, Sie bleiben hier, um uns zu helfen!« Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. »Ich bin ja so froh!«
Sie schob sich das Haar aus dem Gesicht. »Wie ich hörte, verfügen Sie über Erfahrungen, die für uns von unschätzbarem Wert sind. Wir sind Ihnen sehr dankbar!« Sie übernahm einen Stapel von Vorräten – Bandagen, Schienen und ein paar Flaschen Alkoholika – aus Hesters Händen.
»Wir werden noch viel mehr als das brauchen«, sagte Hester und vermied im Augenblick die Wahrheit, die sie Merrit beibringen musste, obwohl sie über eine Situation sprach, die weit quälender war. Sie waren hoffnungslos schlecht vorbereitet. Sie hatten den Krieg nie erlebt, dachten über wichtige Streitfragen nach, über Angelegenheiten, für die es zu kämpfen lohnte, ohne jedoch die leiseste Ahnung zu haben, was der Preis dafür sein würde.
»Wir werden weit mehr Essig und Wein, Flachs, Brandy und viel mehr Leinen brauchen, viel mehr Stofftupfer, um Blutungen zu stoppen.«
»Wein?«, fragte Merrit voller Zweifel.
»Als Stärkungsmittel.«
»Da haben wir doch genügend.«
»Für etwa einhundert Männer. Wir werden vielleicht tausend schwer Verwundete bekommen… möglicherweise gar mehr.«
Merrit sog den Atem ein, als ob sie zu diskutieren beginnen wollte, doch dann erinnerte sie sich anscheinend an einen Teil der Unterhaltung am Dinnertisch zu Hause in London. Ihr Gesicht verzerrte sich bei der Erkenntnis, dass Hester die Ungeheuerlichkeit dessen, was ihnen bevorstand, kannte. Es hatte keinen Sinn, vorzubringen, dass dieser Krieg hier etwas anderes war als der auf der Krim. Denn gewisse Dinge waren immer gleich.
Hester konnte ihren Auftrag nicht länger aufschieben. Eine Weile waren sie allein, da sich die anderen Frauen entfernten, um sich anderen Aufgaben zu widmen.
»Es gibt noch einen Grund, warum ich mit dir sprechen wollte«, sagte Hester. Sie hasste den Schmerz, den sie verursachen würde, und das Urteil, das sie fällen musste.
Merrits Gesicht war von Schweißperlen bedeckt, und auf ihrer Wange war ein Schmutzfleck, aber es lag nicht der Hauch einer Ahnung darin.
Die Zeit war begrenzt. Der Krieg überschattete den Mord und würde ihn bald in den Hintergrund drängen, doch für einen trauernden Menschen ist der eigene Verlust immer einzigartig.
»Dein Vater wurde in der Nacht, in der du fortgingst, ermordet«, sagte Hester ruhig. Es gab keine Möglichkeit, die Tatsache in freundlichere Worte zu kleiden oder ihr die Schärfe zu nehmen, und sie konnte es sich auch nicht leisten. Sie, Monk und Trace würden ihre künftigen Entscheidungen davon abhängig machen, wie Hester Merrits Komplizenschaft bei dem Verbrechen einschätzen
Weitere Kostenlose Bücher