In den Fesseln des Wikingers
nieder.
„Keiner?“, sagte er verachtungsvoll. „Auch gut. Verkriecht euch nur auf der Seine-Insel hinter den Palisaden. Feiglinge kann ich nicht brauchen.“
Er spuckte vor ihnen aus, nahm sein kurzes Schwert und steckte die Axt in den Gürtel. Ohne sich noch einmal nach ihnen umzusehen, ging er davon, folgte den Spuren der normannischen Krieger, die nach Osten gezogen waren.
„Rennt in sein Unglück, dieser Irrsinnige“, murmelte Halvdan missmutig hinter ihm her.
***
Wilhelm zog stetig weiter nach Osten, ohne dabei besondere Eile zu haben. Er hielt sich einige Tage in Bayeux auf, wo er mit seinen Getreuen im Kloster nächtigte und am folgenden Morgen in der Stadt Gericht hielt. Das Heer löste sich langsam auf, Wilhelms Vasallen, die ihren Verpflichtungen nachgekommen waren und Kämpfer gestellt hatten, kehrten mit ihren Männern auf ihre Wohnsitze zurück. Außer der mageren Beute wurden ihnen etliche der gefangenen Wikinger zugeteilt, mit denen sie verfahren konnten, wie sie wollten. Zu Rodenas Erstaunen schien es nicht so, als wolle man die Gefangenen töten, Thores Männer würden sich bald als Sklaven der normannischen Grundherren wiederfinden.
Der innere Kern des Heeres bestand aus Wilhelms eigenen Kämpfern, die ihn bis nach Rouen begleiten würden. Auch die beiden Frauen waren bisher nicht an einen Vasallen vergeben worden, es schien so, als habe Wilhelm die Absicht, sie für sich zu behalten.
Immer noch blies ein kalter Wind über das Land, doch die Wolkendecke war aufgerissen, und die Wintersonne ließ die kahlen Wälder und leeren Äcker weniger trostlos erscheinen. Aus den Bäumen lösten sich Scharen hungriger Krähen, die den Reiterzug neugierig umkreisten und dann über die Felder davonflogen.
Rodena ging es von Tag zu Tag besser, der Schwindel hatte sich gelegt, und ihr Kopf schmerzte nur noch wenig. Aufmerksam betrachtete sie die Landschaft, versuchte sich den Weg einzuprägen und grübelte darüber nach, wie sie aus Wilhelms Gefangenschaft fliehen könnte. Thore lebte, er war den normannischen Kriegern entkommen – noch gab es Hoffnung.
„Siehst du“, frohlockte Papia. „Es ist genau so gekommen, wie ich es vorausgesagt habe. Ich kann in die Zukunft sehen, Rodena!“
„Es scheint so“, gab Rodena lächelnd zurück.
„Ganz gewiss werdet ihr euch wiedersehen!“
Was würde er tun? Konnte er überhaupt etwas tun, oder lag er verwundet irgendwo im Wald, ohne Nahrung, der Kälte ausgeliefert? Oder hatte er einige letzte Getreue um sich geschart und kam auf die irrwitzige Idee, sie befreien zu wollen? Ja, wenn es ihm auf irgendeine Weise möglich war, dann würde er das vermutlich versuchen.
Eines war sicher: Wenn Thore in die Hände der Normannen fiel, war sein Schicksal besiegelt. Wilhelm hatte es deutlich genug gesagt. Für den Anführer der Wikinger, der Wilhelm auf so schmähliche Weise besiegt hatte, würde es keine Milde geben.
„Lass mich jetzt endlich nach deiner Wunde sehen“, verlangte Papia. „Sie müsste längst geheilt sein, es war nur ein kleiner Kratzer.“
Rodena hatte sich tagelang stur geweigert, den Verband abzunehmen, doch schließlich gab sie nach. Der Schlag hatte eine Beule hinterlassen, die inzwischen weitgehend abgeschwollen war, und die schmale Platzwunde war kaum noch zu sehen. Sie wickelte sich in die Decke, zog sie auch über das Haar, und hoffte, dass Wilhelm sich weiterhin nicht um sie kümmern würde.
In Bayeux hatte der Herzog der Normannen auch Papia nach der Druidin befragt, doch sie hatte Rodena nicht verraten.
„Was für ein düsterer Mensch“, erzählte das Mädchen, als man es wieder zu Rodena zurückbrachte. „Er hat mir schreckliche Angst eingejagt mit seiner Fragerei. Hoffentlich verrät dich nicht einer der gefangenen Wikinger!“
Rodena war sich nicht sicher, ob die Männer den Mund gehalten hatten. Einerseits waren die meisten nicht gut auf sie zu sprechen, aber auf der anderen Seite hatten die Wikinger keinen Grund, dem Mann, der sie besiegt und gefangen hatte, einen Gefallen zu tun. Allerdings konnte es sein, dass Wilhelm Mittel fand, aus ihnen herauszulocken, was er wissen wollte.
Tatsache war, dass Wilhelm jetzt immer häufiger in der Nähe des Wagens ritt, auf dem die beiden Frauen saßen. Es konnte Zufall sein, dennoch hatte Rodena das Gefühl, von ihm beobachtet zu werden. Dann zog sie die Decke tiefer ins Gesicht und stopfte auch die schwarzen Haarsträhnen darunter, die der Wind gelöst hatte. Wilhelms Nähe war
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