In den Fesseln des Wikingers
den engsten Getreuen des Herzogs aus der Festung ritt. Auch dem Dümmsten wurde jetzt klar, dass es mit dieser Frau eine besondere Bewandnis haben musste, und es ging das Gerücht um, sie sei eine Heidin, die den Herzog mit ihrer Schönheit berückt habe, so dass er sie nun als seine Geliebte mit nach Rouen nehmen wollte.
Papia hatte Rodena zärtlich umarmt und ihr zugeflüstert, sie wisse genau, dass auch ihr Schicksal sich zum Guten wenden würde.
„Wenn Thore mich an seiner Seite braucht, werde ich da sein“, meinte Ubbe zu Rodena beim Abschied. „Sag ihm das, wenn du ihn siehst.“
„Wann sollte ich ihn sehen? Niemand weiß, wo er ist.“
„Ich kenne ihn“, gab Ubbe düster zurück.
Mehr wollte er dazu nicht sagen, er legte den Arm um Papia und zog sie tröstend an sich, denn sie machte jetzt ein sorgenvolles Gesicht.
Die Wintersonne hatte die gefrorenen Wege auftauen lassen, so dass die Hufe der Pferde in den Schlamm einsanken und Stiefel und Beinlinge der Reiter bespritzten. Noch war die Kälte nicht allzu sehr spürbar, nur die länger werdenden Schatten der Reiter kündigten an, dass der kurze Wintertag seine Mitte überschritten hatte, und die Sonne nur allzu bald an Kraft verlieren würde.
Rodena genoss den Ritt, denn sie hatte es satt gehabt, auf dem rumpelnden Wagen sitzen zu müssen, ständig den neugierigen Blicken der Reiter ausgesetzt, die sie von ihren Pferden herab beobachteten. Jetzt befand sie sich mit den Männern auf Augenhöhe, und sie konnte ihr Reittier selbst lenken, soweit ihr das als unerfahrener Reiterin möglich war. Man hatte ihr eine ruhige Stute gegeben, die brav mit den übrigen Tieren mitlief, sich auch fast immer dem Willen der Reiterin fügte und keine Lust zu irgendwelchen Unarten zeigte.
Wilhelms Begleiter waren auf etwa fünfzig Männer zusammengeschrumpft, es waren seine engsten Getreuen und dazu etliche Krieger, die an seinem Hof bei Rouen ausgebildet worden waren und ihn bei seinen häufigen Reisen durch das Land beschützten. Die meisten hatten ihre Kettenhemden angelegt, die beim Reiten eher lästig waren, auch die Helme hingen an den Sätteln, denn sie hinderten die Sicht. Man durchquerte das Kerngebiet des Landes, und obgleich in diesen unruhigen Zeiten stets Vorsicht vonnöten war, wusste man doch, dass alle Orte, die man passieren würde, von treuen Anhängern des Herzogs bewohnt waren, so dass man sich sicher fühlen konnte. Hin und wieder kamen ihnen beladene Ochsenkarren entgegen, meist waren es Händler, die zum Markt in Falaise unterwegs waren, und sie grüßten den Reitertrupp untertänig, denn der Herzog der Normandie hatte das Wegerecht und sorgte für die Sicherheit aller, die den Handelsweg benutzten.
Nachdem sie eine Weile geritten waren, lenkte Wilhelm sein Pferd an Rodenas Seite. Er hatte bis dahin wenig Notiz von ihr genommen, war wie gewohnt schweigsam seines Weges geritten, wobei seinem wachen Sinn kaum etwas entging. Jetzt schien er Lust auf ein Gespräch zu haben, denn er blickte zu ihr hinüber und betrachtete sie mit leichtem Spott. Rodena saß nach Art der Männer im Sattel, das weite Kleid ließ nur ihre Füße sehen, die in den Steigbügeln steckten, ein blauer Mantel, der mit einer Fibel über der Brust geschlossen wurde, hing über ihre Schultern.
„Du wirst morgen früh vermutlich das Gefühl haben, ein Fass zwischen den Beinen zu haben“, bemerkte er sachverständig, denn er sah ihr an, dass sie keine geübte Reiterin war.
„Damit werde ich zurechtkommen müssen.“
„Sicher. Wir werden heute Abend in Evreux Quartier nehmen, du wirst dort zum ersten Mal in deinem Leben in einem Kloster nächtigen.“
Entsetzt sah sie ihn an und wollte ihm widersprechen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen.
„Es ist bequemer als in einem Bauernhaus, glaub mir. Und wenn du nicht überall herumerzählst, dass du eine Druidin bist, werden die Mönche dich freundlich mit allem Nötigen versorgen. Vergiss nicht, dass ich Herr über alle Klöster meines Landes bin. Wer sich in meiner Begleitung befindet, wird überall gut bedient.“
Sie war nicht gerade begeistert von der Aussicht, mit den verhassten Klosterbrüdern unter einem Dach zu wohnen und von ihnen auch noch verköstigt zu werden, doch sie schwieg, denn sie wollte ihn nicht gleich wieder verärgern. Er behandelte sie tatsächlich wie seine Tochter, ließ sie neben sich reiten, verschaffte ihr Privilegien, und fast schien es, als wolle er seine Federn ein wenig vor ihr spreizen.
Weitere Kostenlose Bücher