In den Fesseln des Wikingers
zu verplappern. Papia verschluckte sich vor Schreck an dem heißen Tee und hustete krampfhaft, während sie von den Kriegern flankiert zum Turmhügel hinüber gingen.
Eine schwere, eisenbeschlagene Tür sicherte den Eingang des hölzernen Wohnturms, die Räume im Untergeschoss waren fensterlos, um einem Angreifer keine Schwachstelle zu bieten. Öllampen erleuchteten die beiden engen, stickigen Zimmer, die vor allem den Wächtern und einfachen Kriegern vorbehalten waren. Eine schmale Holzstiege führte in den ersten Stock, wo enge Fensterluken ein wenig Tageslicht einließen. Schwere, gestickte Vorhänge trennten einen Teil des Raumes ab, Truhen unterschiedlicher Größe standen an den Wänden, auch gab es Regalbretter, auf denen Gerätschaften aus blinkendem Silber untergebracht waren. Der Burgherr hatte es sich hier wohnlich eingerichtet. Eine weitere Stiege führte in den zweiten Stock – dort waren vermutlich die weiblichen Mitglieder der königlichen Familie untergebracht.
Alain befand sich in Gesellschaft einiger seiner engster Getreuen, die Rodena auch vorhin auf dem Hof an seiner Seite gesehen hatte. Zwei davon waren graubärtige Krieger, erfahrene Kämpfer, die nicht den Eindruck machten, bereits an Altersschwäche zu leiden. Der dritte war ein schlanker, junger Mann mit lebhaften Augen und einer vorspringenden Kinnpartie, die seinen spärlichen Bart wie das Bärtchen einer Ziege aussehen ließ. Die vier Männer saßen auf Schemeln um einen kleinen Spieltisch herum, auf dem gerade eine Schachpartie zwischen Alain und dem jungen Mann im Gange war. Neben dem König stand ein schwarz gekleideter Mönch, ein dürrer, langhalsiger Mann, dessen schmales Gesicht von großen, braunen Augen unter dichten Augenbrauen beherrscht wurde.
Der Klosterbruder starrte Rodena mit lauerndem Blick entgegen, als sie den Raum betrat, dann fasste er Alain am Arm und flüsterte ihm hastig etwas ins Ohr.
Der König hörte ihm zu, nickte und nahm dann eine der Schachfiguren aus Alabaster vom Spielbrett, um sie auf eine neue Position zu setzen. Das Spiel schien seine Aufmerksamkeit vollkommen zu fesseln, denn er sah Rodena nicht an, während er sprach. „Ich hoffe, du hast dich inzwischen von den Schrecken deiner Gefangenschaft erholen können.“
Es klang ziemlich beiläufig, und Rodena fragte sich, weshalb er sie extra kommen ließ, wenn er eigentlich lieber Schach spielen wollte.
„Das habe ich, Herr“, gab sie höflich zurück. „Ich bin Euch unendlich dankbar für Eure Hilfe und Gastfreundschaft. Man hat mich und meine Dienerin an Eurem Hof freundlich aufgenommen und wohl versorgt, so dass wir bald in unsere Heimat zurückkehren können.“
Alain lehnte sich zurück und betrachtete gespannt das Gesicht des jungen Mannes, der jetzt den Finger an die Nase legte und gedankenvoll auf das Spielfeld starrte. Erst als der junge Ziegenbart die Hand gehoben hatte, um mit spitzen Fingern eine Figur zu setzen, hellten sich Alains Züge auf, und er wandte sich mit zufriedenem Grinsen den beiden Frauen zu. Offensichtlich war sein Mitspieler gerade eben in eine Falle getappt.
„Warum so rasch, Rodena“, fragte er leutselig. „Da du schon einmal unser Gast bist, möchte ich gern ein wenig mehr über dich erfahren. Woher genau du stammst, wer deine Eltern sind und wie du in die Gefangenschaft der Wikinger geraten bist.“
Das war sein gutes Recht, und Rodena war auf diese Fragen vorbereitet. Lästig war nur der Klosterbruder, der sie die ganze Zeit über mit flackerndem Blick anstarrte und ihr ganz offensichtlich feindlich gesinnt war. „Ich lebe allein mit meiner Mutter in der Nähe der Küste, Herr. Wir wohnen zurückgezogen und haben nur wenig Umgang mit anderen Menschen, doch wir kennen uns mit Heilkräutern aus und leisten Hilfe bei Krankheiten.“
„Eine Heilerin bist du also … so so ...“ Alain wandte sich wieder dem Spiel zu, sah mit hochgezogenen Brauen rasch über das Schachbrett und hob dann lächelnd den Blick zu seinem jungen Mitspieler. „Du musst besser aufpassen, Roger, sonst wirst du es niemals schaffen, deinen Vater zu schlagen.“
Die rechte Hand des Königs schwebte einen Augenblick lang über dem Spielbrett, dann stieß sie zielsicher auf einen Stein hinunter, den er schräg über das Feld führte. „Schach!“
Der junge Mann hatte den Zug mit Verblüffung verfolgt, jetzt zwirbelte er sein Bärtchen und brütete über seiner schwierigen Lage.
„Und wie kam es, dass die Wikinger dich entführten, da
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