In den Fesseln des Wikingers
Langschwert sich gegen andere Feinde wehren muss, wird er die Bretagne nicht behelligen. Deshalb solltet Ihr dafür sorgen, dass er beschäftigt ist.“
„Wie meinst du das?“, fragte er verblüfft.
„Ihr könntet zum Beispiel einen Pakt mit den gefangenen Wikingern schließen und sie gegen Wilhelm Langschwert schicken. Die Normandie ist reich – es winkt ihnen dort mehr Beute als in der Bretagne. So werdet Ihr diese Eindringlinge los und schwächt zugleich den Feind.“
Es war ein sehr gewagter Versuch, Thore und seinen Männern das Leben zu retten, und sie hatte keine Ahnung, wie Alain diese kühne Idee aufnehmen würde.
„Das ist dein Rat, Druidin?“, fragte er zweifelnd. „Es klingt eher wie eine Kriegslist.“
„Mein Rat ist folgender: Gebt Eurem Sohn die Aufgabe, die er sich wünscht, und sorgt zugleich dafür, dass sie ihm nicht zu schwer gemacht wird.“
Nachdenklich sah Alain Schiefbart zu dem Spieltisch hinüber, auf dem alle Figuren durcheinander geraten waren. Dann machte er Rodena ein Zeichen, dass sie gehen dürfe.
***
Tagelang saß sie untätig herum und wartete. Das Leben auf der Burg schien seinen gewohnten Gang zu gehen, Bauern erschienen am Hoftor und zogen kleine Karren voller Erntegüter hinter sich her, Hühner und Ziegen wurden als Zins abgegeben, ebenso Säcke mit Korn, Kohl, Erbsen, Äpfeln und Birnen. Die Knechte nahmen die Abgaben entgegen, tadelten oder lobten die Bauern und ließen sie dann mit leeren Karren wieder davonziehen.
Hin und wieder schlenderte Rodena über den Hof und ging wie zufällig an dem Gebäude vorüber, in dem die Wikinger untergebracht waren. Doch das einzige Fensterchen war mit Brettern vernagelt, und vor der Tür hatte Alain zwei Wächter aufgestellt, so dass sie keine Möglichkeit hatte, einen Blick hineinzuwerfen. Auch ihre Versuche, mit den Knechten und Mägden ins Gespräch zu kommen, scheiterten, denn man begegnete der schönen, schwarzhaarigen Frau mit einer seltsamen Mischung aus Misstrauen und Ehrfurcht, so dass sie nichts aus den Leuten herausbekam. Wahrscheinlich hatte sich inzwischen herumgesprochen, dass sie eine heidnische Druidin war, so dass niemand etwas mit ihr zu tun haben wollte.
Papia hatte mehr Glück. Die Mägde, die selbst nie vor den Begierden der Krieger sicher waren, hatten Mitleid mit der Kleinen und dachten nicht daran, sie als Wikingerhure zu verachten. Was hätte das arme Ding denn tun sollen, als sie den Wikingern in die Hände fiel? Papia hatte eine offene, kindliche Art, sie schwatzte allerlei dummes Zeug, über das die Mägde lachen mussten, und die Knechte, die die Abgaben der Bauern überwachten, packten ihr heimlich Käse, Obst und Brot in einen Korb.
Stolz lief sie jedes Mal zu Rodena zurück, gab den Korb der Alten, die ihnen die Mahlzeiten bereitete, und erzählte, was sie erfahren hatte. „Die Gefangenen erhalten Speis und Trank, und ihre Wunden werden versorgt. Aber das hat Alain nur deshalb angeordnet, weil er sie gemeinsam mit den anderen Wikingern hinrichten lassen will. Jedenfalls reden das die Leute.“
Rodenas Hoffnungen sanken – also hatte Alain seine Pläne nicht geändert. „Sind ihre Wunden schlimm?“
Papia nickte beklommen. Man hatte alle Gefangenen mit glühenden Eisen traktiert, am härtesten war man mit Thore umgegangen. Aber keiner der Wikinger hatte sich unterworfen und um Gnade gefleht, wie Alain es sich erhofft hatte, sie hatten ihre Qualen mannhaft ertragen, so dass sogar Alains Krieger mit Respekt von ihnen sprachen.
„Die Frauen sagen, es sei schimpflich, diese Männer aufzuhängen, wie der König es vorhat. Sie seien mutige Kämpfer, die diesen schmählichen Tod nicht verdient hätten.“
Rodena stieß mit dem Fuß gegen einen kleinen Stein, der quer über den Platz schoss und gegen den gemauerten Ziehbrunnen prallte. Sie waren doch alle gleich. Thore oder Alain Schiefbart – beide waren begierig, ihre Seherkraft zu nutzen, fragten neugierig nach ihrem Rat, aber keiner der beiden hatte die Absicht, sich danach zu richten.
Es tat sich nichts. Täglich wurden neue Ernteabgaben herbeigeschleppt und von Alains Leuten in den Speichern und Lagerräumen verstaut. Niemand redete mehr von den Gefangenen, man schien sie vollkommen vergessen zu haben. Stattdessen wurden Vorbereitungen für das Erntefest getroffen, das am kommenden Sonntag gefeiert werden sollte und bei dem es für alle satt zu essen geben würde.
„Es werden Spielleute und Gaukler auf die Burg kommen, vielleicht
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