In den Fesseln des Wikingers
fehlten und auch das zerfetzte Segel zu nichts mehr taugte, war Thores Schiff doch so schnell, dass das Boot der Bretonen Mühe hatte, ihnen zu folgen. König Alain hatte diese Begleitung „Schutz“ genannt, seine Krieger würden die Wikinger als Freunde den Fluss hinabgeleiten und dort von ihnen Abschied nehmen. Thore jedoch hatte Alains Maßnahme als das verstanden, was sie in Wirklichkeit war: eine Bewachung. Erst wenn sie das Meer erreicht hatten, würden sie tatsächlich frei sein.
Dennoch war die Stimmung an Bord des Wikingerdrachens gut. Die Männer hatten noch gestern den sicheren Tod vor Augen gehabt, dann hatte sich das Schicksal plötzlich und unerwartet gedreht. Statt an den Palisaden der Burg aufgeknüpft zu werden, hatten sie einen ganzen Abend lang getafelt und sich mit Apfelwein volllaufen lassen – ein saures Zeug, von dem einigen jetzt noch der Schädel brummte. Nun aber hatten sie die Planken ihres treuen Wellenbeißers wieder unter den Füßen, und während sie die Ruder zogen, schien es ihnen, als hörten sie im Ächzen und Knarren des Holzes die heisere Stimme ihres Meerdrachens, der seine rechtmäßigen Herren grüßte.
Nur Thore blieb von der allgemeinen Fröhlichkeit unberührt. Mit düsterer Miene stand er am Heck und starrte hasserfüllt auf Alains Boot, dass ihnen zwar in weitem Abstand, aber dennoch unbeirrt folgte. Er hatte so manche Kröte schlucken müssen am gestrigen Abend, und das Ungeziefer lag ihm schwer im Magen. Wie demütigend war es gewesen, diesen Pakt eingehen zu müssen. Wäre es nur um sein eigenes Leben gegangen – er hätte die Gelegenheit im Turmzimmer genutzt, um sich trotz seiner Fesseln zum Kampf zu stellen und durch das Schwert zu sterben. Doch um seiner Kameraden willen hatte er nachgegeben, denn er wollte sie nicht um die Chance bringen, ihr Leben zu retten und in die Heimat zurückzukehren. So also war er auf diesen Pakt eingegangen, der im Grunde nichts weiter bedeutete, als dass die Wikinger für König Alain die Kastanien aus dem Feuer holen sollten. Er, Thore, und seine Männer hatten Alains ausdrückliche Genehmigung, in das Gebiet des normannischen Herzogs Wilhelm Langschwert einzufallen und dort Beute zu machen.
Es war lächerlich genug, denn wo Alain nichts zu sagen hatte, hatte er auch nichts zu erlauben.
Dazu machte er den Wikingern großmütig das Angebot, ihnen alle eroberten Gebiete dort zum Lehen zu geben.
Thore schäumte vor Wut, wenn er an Alain Schiefbarts selbstzufriedenes Grinsen dachte, mit dem er den Wikingern dieses Angebot verkündete. Alain wollte ihm, Thore, allen Ernstes Land zum Lehen geben, das Wilhelm Langschwert gehörte. Anders ausgedrückt: Die Wikinger sollten sich mit dem normannischen Herzog herumschlagen und ihm ein Stück Land abringen, das König Alain dann für sich beanspruchen würde.
In diesem Punkt hatte der schlaue Fuchs sich allerdings verrechnet. Thore hatte keinerlei Absichten, hier in Franken Land zu erobern. Wozu auch? Er besaß daheim in Norwegen einige Dörfer, ein schönes Haus war sein Eigen – er brauchte kein Land in der Fremde. Was ihn lockte, waren Kampf und Beute, sonst nichts.
Er schob den Steuermann des Drachenbootes beiseite und führte selbst das Steuerruder, spürte, wie das Schiff auf jede seiner Bewegungen antwortete und freute sich einen Moment daran. Doch die düstere Stimmung kehrte zurück, als die schwarzhaarige Druidin den Kopf zu ihm wendete und ihn anlächelte.
Er spürte einen Stich im Herzen, denn er fürchtete sich davor, ihr entgegenzutreten. Sie hatte recht gehabt, und er hatte töricht gehandelt – doch das war nicht der Grund für seine Beklemmung. Weit Schlimmeres war mit ihm geschehen: Als er, Thore, dem sicheren Tod entgegenblickte, hatte er nur eines in seinem Leben tief bedauert: Dass er Rodena für immer verlor, sie nie für sich würde gewinnen können. Später hatte er beharrlich um sie gehandelt, und der Pakt, der ihrer aller Leben rettete, wäre um ein Haar an seiner harten Forderung, die Druidin mitnehmen zu wollen, gescheitert.
Zum Glück hatte Alain schließlich nachgegeben und ihm mit verständnisinnigem Grinsen auf die Schulter geschlagen.
„Sie ist verflucht schön, diese Hexe“, hatte er gelallt, denn auch Alain hatte an diesem Abend recht ordentlich getrunken. „Ich schenke sie dir zum Zeichen meiner Freundschaft. Aber nimm dich vor ihr in Acht, Thore Eishammer. Dieses Weib ist mit allen Wassern gewaschen, und wer sie beherrschen will, der muss
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