In den Fesseln des Wikingers
sinken und Ubbe richtete mit einer triumphierenden Bewegung seinen verrutschten Gürtel.
Rodena starrte ungläubig auf den vierschrötigen Bären, der sich jetzt wieder seelenruhig an sein Ruder begab, als sei nichts weiter geschehen. Als Papia zögernd und mit fragender Miene zu ihm trat, lächelte er und ermunterte sie, sich wieder an seine Seite zu setzen.
Thore blieb eine gute Weile am Bug des Drachenbootes stehen, hatte die hohe Reling mit beiden Händen umklammert, als brauche er einen Halt, und starrte auf den Fluss. Die Strömung begann nun unruhiger zu werden, das Boot schlingerte, und nach einer Flussbiegung wurde weit draußen am Horizont das breite Gewässer der Mündung sichtbar. Was Ubbe ihm da in seinem Zorn entgegengeschleudert hatte, war ebenso verblüffend wie unfassbar gewesen, und es hatte Thore in seinem Innersten erschüttert. Sie, Rodena, die fränkische Hexe, die hochmütige Druidin – sie hatte ihm und seinen Männern mit kluger List das Leben gerettet. Er presste die Finger in das harte Holz der Schiffsreling, bis es schmerzte, doch den Aufruhr in seiner Brust konnte er damit nicht betäuben. Weshalb hatte sie das getan? Sie war ein Weib, sie gehörte zu jenen Wesen, die einem Mann Unglück brachten, ihn verrieten, ihn ins Dunkel der Verzweiflung stürzten. Aber sie hatte ihn geschützt, sie wollte, dass er lebte ... Eine heiße Flamme schien in seiner Brust emporzuzüngeln, und er spürte, wie sehr es ihn zu ihr hinzog, wie er sie in seine Arme nehmen wollte, ihren Trotz und Hochmut mit seinen Küssen in süße Hingabe verwandeln.
Nimm dich in Acht, warnte ihn eine boshafte Stimme in seinem Inneren. Ein jedes Weib ist eine Betrügerin, sie hat dich nur gerettet, um dich später weit elender dem Tod auszuliefern. Einen Moment lang überdachte er diese Warnung, die ihm vernünftig erschien, zugleich aber grausam und düster, denn sie rief ihm die langen, dunklen Zeiten in Erinnerung, die er einsam in seiner Hütte verbracht hatte.
Sein Herz klopfte jetzt plötzlich so laut und rasch wie der Hammer eines Schmiedes, der ein neues Schwert bearbeitet. Schweiß brach ihm aus, rann von seiner Stirn, brannte in den Augen, er sah auf seine Hände und stellte fest, dass er sich die Finger an dem Holz blutig gerissen hatte.
Bin ich ein Feigling geworden, dachte er und wischte sich mit dem Handrücken über die heiße, feuchte Stirn. Habe ich je den Tod gefürchtet, wenn es galt, einen Schatz zu erwerben? Und ist die Liebe eines Weibes nicht mehr wert, als alles Gold und alles Silber dieser Erde?
Erst kurz bevor das Boot das offene Meer erreichte, löste sich Thore Eishammer aus seiner starren Haltung und ging langsam zu den Ruderern hinüber. Er schob Ubbe beiseite, um seinen Platz an der Bank einzunehmen, und befahl den Männern, aufs Meer hinauszurudern. Mit gleichmäßigen Bewegungen tauchte er das Ruder ins Wasser ein, zog es durch die Fluten und spürte, wie das Schiff durch die unruhige Strömung schoss. Der Kampf in seinem Inneren war jetzt entschieden – er würde sich erwerben, was er schon so lange begehrte.
***
Rodenas Ärger wuchs mit jedem Ruderschlag, der das Drachenschiff weiter nach Osten trieb. Längst hatten sie den Strand, wo die Wikinger einst ihr Lager aufgeschlagen hatten, passiert, doch Thore schien nicht die Absicht zu haben, die Druidin in der Nähe des Quellheiligtums abzusetzen.
Deine Göttin wird dir den Weg schon weisen, hatte er gesagt. Also hatte der boshafte Kerl vor, ihr einen weiten, mühsamen Fußweg zu bescheren.
Sie würde allein gehen müssen, denn es war klar, dass Ubbe sich nicht von Papia trennen würde. Nicht einmal Thore hatte es vermocht, denn Sinn seines Kameraden zu ändern – da brauchte sie, Rodena, sich keine Hoffnungen zu machen. Es bekümmerte sie, denn sie sorgte sich um das Mädchen. Wer weiß, wie lange Ubbes zarte Gefühle anhielten? Und was würde aus Papia, wenn Ubbe im Kampf fiel? Dann würde ein anderer ihr Beschützer werden, und es konnte gut sein, dass er nicht nach Papias Geschmack war. Rodena sah zu dem Mädchen hinüber, die an die Reling gelehnt am Boden saß, den Rock ein wenig hochgezogen, so dass Ubbe ihre hübschen Waden sehen konnte.
Schau an, dachte Rodena verbittert. So jung und schon eine Verführerin!
Die heimatlichen Wälder entschwanden ihren Blicken und die Fahrt ging weiter an der Küste entlang, die späte Nachmittagssonne im Rücken. Zum Glück war das Meer ruhig, sonst hätte sie zusätzlich zu ihrem Ärger
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