In den Fesseln des Wikingers
doch er wies Rodenas Pflege nun zurück und versorgte sich selbst.
„Auch wir Wikinger wissen, Verletzungen zu heilen“, beharrte er stolz. „Und du hast genug mit deinen Frauen zu tun.“
Sie war ein wenig verletzt von seiner Ablehnung, doch sie begriff, dass er kein Mann war, der sich über längere Zeit von einer Frau, und sei es auch seine Geliebte, abhängig fühlen wollte. Er brauchte seine Freiheit, und Rodena war bereit, sie ihm zu gewähren. Im Grunde war es nur gut so, denn auch sie war es gewohnt, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Inzwischen erschienen regelmäßig Frauen jeglichen Alters am Bach, denn es hatte sich herumgesprochen, dass die Druidin Krankheiten heilen und in die Zukunft blicken konnte. Kleine Kinder wurde hinaufgeschleppt, Schwangere kamen, um Rodenas Rat zu hören, aber auch Frauen, die die Göttin um Kindersegen bitten wollten. Es kamen auch Verliebte, die wissen wollten, ob es Hoffnung für sie gab, und Rodena geriet oft in Verlegenheit, denn das Murmeln ihrer Göttin war nur schwer von dem ganz normalen Geräusch eines geschwätzigen Baches zu unterscheiden.
„Wenn du so weitermachst, wirst du bald weithin berühmt sein, und Wilhelm Langschwert selbst wird zu dir kommen, um sich von dir weissagen zu lassen“, witzelte Thore, dem das Treiben am Bach langsam Sorge bereitete.
„Es würde ihm dabei nicht viel besser ergehen als dir“, gab sie lächelnd zurück. „Eine Druidin kann in die Zukunft sehen – das Schicksal ändern kann sie nicht.“
Sie sprachen nicht mehr davon, doch beide wussten, dass der große Zulauf, den Rodena unter den Frauen hatte, eine Gefahr bedeutete. Längst würden zumindest die Kinder herumerzählt haben, dass oben im Wald eine Druidin lebte, die Männer hatten es erfahren, und es war nur eine Frage der Zeit, bis auch der Priester davon wusste. Wenn Rodena gehofft hatte, den Winter im Schutz der Höhle verbringen zu können, dann war sie dabei reichlich blauäugig gewesen.
Thore schien jedoch entschlossen, die drohende Gefahr nicht zu beachten. Er hatte in zäher Arbeit einen ziemlich tauglichen Bogen und eine Steinaxt gefertigt, dazu Pfeile und eine Jagdtasche. So erhob er sich am frühen Morgen, noch bevor das Licht am Himmel aufbrach, vom Lager und ging auf die Jagd. Immer war er erfolgreich, mal brachte er ein Reh, dann einen Hasen, einmal sogar ein junges Wildschwein.
Rodena war wenig begeistert über seinen Eifer, denn sie mochte es nicht, wenn er Tiere tötete. Sie selbst ernährte sich lieber von Gemüse, Korn und Früchten, doch sie musste einsehen, dass Thore andere Nahrung gewöhnt war. Seufzend sah sie zu, wenn er das Wildbret zurechtmachte, und von dem, was er für sie am Feuer briet, aß sie nur wenige Bissen.
„In meiner Heimat weiß jede Frau, wie sie einen Braten zuzubreiten hat“, knurrte er. „Aber du wirst es schon lernen, du brauchst nur aufzupassen, wie ich es mache.“
„Mir wird allein vom Hinsehen schon schlecht“, nörgelte sie und zog die Nase kraus. „Deine Fleischspießchen werden nur noch von diesen steinharten Fischbrettern übertroffen, die ihr mir auf dem Drachenboot zu essen gabt.“
„Stockfisch!“, rief er empört. „Das ist die wunderbarste Speise der Welt – nahrhaft, lecker und jahrelang haltbar.“
„Er roch tatsächlich, als sei er schon jahrelang auf dem Wasser herumgetrieben.“
Er blickte verächtlich auf den Kessel, in dem sie Gerste mit ein wenig Salz und Erbsen kochte, dann grinste er fröhlich.
„Ich werde dir besseren Fisch bringen, Druidin. Damit du siehst, dass ein Wikinger kein Stockfischfresser ist, sondern ein Dorschbeißer.“
„Aber … das geht nicht“, wandte sie erschrocken ein. „Schon deine Jagdausflüge sind gefährlich. Am Strand, wo du den Bauern und Fischern begegnen könntest, solltest dich besser nicht blicken lassen.“
„Wieso nicht?“, lachte er und erhob sich vom Boden zu seiner vollen Größe. „Ich bin einer von ihnen – das sieht man doch?“
Der Kittel war ein wenig zu kurz, er bedeckte kaum seine Knie, doch dafür hatte sie ihm haltbare Schuhe aus einem Stück Leder hergestellt, das die Frauen ihr gebracht hatten. Auch hatte sie ihm das lockige, blonde Haar gekürzt, und auf ihre Bitte hin war er bereit gewesen, sich den Bart zu stutzen. Dennoch wiesen ihn seine kräftige Statur und die hellen Augen eindeutig als einen Krieger aus, der vom Norden her ins Land gekommen war.
Er kümmerte sich wenig um ihren zweifelnden Blick, sondern kniete
Weitere Kostenlose Bücher