In den Fesseln des Wikingers
sie zu. „Wir werden den grauen Wolf und sein Rudel einkesseln, und dann wird sich erweisen, wer der Stärkere ist. Wilhelm Langschwert hat Sigurd geschlagen, aber er wird sich Thore Eishammer unterwerfen müssen.“
Sie starrte ihn mit großen, hilflosen Augen an. „Du willst … was?“
Er riss sie an sich, und sie spürte an seinem raschen Atem, wie heftig die Begeisterung ihn erfasst hatte. „Wenn du nicht mit mir in meine Heimat fahren kannst, Rodena, dann werde ich hier bei dir bleiben, denn ich kann mich nicht von dir trennen. Aber ich werde mich nicht verstecken und auch niemals ein jämmerlicher Vasall eines Herzogs oder Königs sein, denn dazu tauge ich schlecht ...“
„Thore, hör mich an ...“
Doch er war viel zu aufgeregt, um auf ihre Rede zu achten, denn sein Vorhaben beherrschte ihn vollkommen. Er würde um sein Glück kämpfen, das war es, was ihm gefiel, das war es auch, was für einen Wikinger taugte.
„Ich werde das Land von hier bis hinüber zur Bretagne besitzen, Rodena“, fiel er ihr laut ins Wort. „Niemand wird es mir streitig machen, nicht Alain Schiefbart im Westen und auch nicht Wilhelm Langschwert im Osten.“
„Du … du bist ja vollkommen verrückt, Thore!“
Er hörte gar nicht hin, sondern strich ihr das Haar aus der Stirn, um ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken.
„Es wird unser Königreich sein, Rodena“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Ich lege es dir zu Füßen, meine Frau.“
4. Kapitel:
Herzog der Normannen
Sie stritten fast die ganze Nacht lang und versöhnten sich erst, als Rodena schließlich alle Hoffnung aufgab, Thore umstimmen zu können.
Schlaflos lag sie in seinen Armen, lauschte auf seine regelmäßigen Atemzüge und neidete ihm den sorglosen Schlummer. Wie schutzlos er im Schlaf war, wenn sein großer Körper sich ganz und gar entspannte und sein Kopf vertrauensvoll an ihrer Schulter ruhte. Gleich einem Knaben, der einen schönen Traum durchlebte, lag ein kleines Lächeln auf seinen Zügen – vermutlich sah er sich gerade als Sieger über Wilhelm Langschwert und festigte bereits die Grenzen seines künftigen Besitzes. Wie hatte er gesagt? Seines Königreiches. Sie seufzte tief und versuchte die lähmende Angst zu überwinden, die sie bei diesen Gedanken überfiel. Es ist der Plan eines Wahnwitzigen, dachte sie. Jeder Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hat, muss sehen, dass das Wagnis viel zu groß ist und der Feind zu stark.
Selbst wenn es ihm gelänge, dem Herzog der Normandie dieses Land im Westen seines Reiches abzutrotzen – Wilhelm Langschwert würde immer darauf lauern, sich seinen Besitz zurückzuholen. Und auch Alain Schiefbart würde gewiss nicht untätig bleiben, denn auch er hatte Lust, sein Reich zu vergrößern. Thore würde zwischen zwei starke Gegner geraten, und sie würden ihn zermalmen.
Aber viel wahrscheinlicher war, dass er gleich zu Anfang im Kampf gegen Wilhelm Langschwert sterben würde. Weshalb sollte es Thore besser ergehen als Sigurd? Wilhelm Langschwert war ein erfahrener Krieger, er war mächtig und saß fest auf dem Thron seines Herzogtums.
Bekümmert strich sie über Thores schlafendes Gesicht und berührte sacht die breite Narbe auf seiner Wange. Noch lebte er, noch spürte sie seine Wärme an ihrer Seite und die Kraft der Arme, mit denen er sie umschlungen hielt.
Soll er sein Boot bauen, dachte Rodena , als schon das Morgenlicht in den Höhleneingang schien. Lieber fahre ich mit ihm nach Norwegen und erdulde den Zorn meiner Göttin, als dass ich erleben muss, wie er vor meinen Augen stirbt.
Aber als sie sich am Morgen vorsichtig nach den Fortschritten beim Bau des Schiffes erkundigte, hörte Thore ihr kaum zu. Stattdessen schlang er ein wenig Gerstenbrei herunter, steckte das Messer in den Gürtel und hatte es eilig, zum Strand aufzubrechen.
„Vertraust du mir, Druidin?“, fragte er lächelnd und hob ihr Kinn mit zwei Fingern, damit sie ihn ansah.
„Ich wünschte, ich könnte es, Thore.“
Seine grauen Augen blitzten kampflustig, als stünde er bereits den Kriegern Wilhelm Langschwerts gegenüber. „Das ist schade. Aber ich werde dir beweisen, dass du auf Thore Eishammer bauen kannst!“
Er umschlang sie stürmisch, presste sie an sich und löste sich dann abrupt um davonzueilen. Rodena blieb vor der Höhle stehen und sah ihm nach, bis die Umrisse seiner Gestalt zwischen den kahlen Stämmen und Zweigen verschwunden waren. Ein kühler Wind ließ das welke Laub am Boden rascheln und fuhr durch ihr
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