In den Fesseln des Wikingers
begehen.
„Wollt ihr die Göttin noch mehr reizen? Es ist auch so schon schlimm genug!“
Zögernd starrten sie die Druidin an, doch als Rodena eine Bewegung machte, als wolle sie auf sie zugehen, wichen sie vor ihr zurück.
„Verschwinde!“, kreischte eine der jungen Frauen und hielt die Hände mit gespreizten Fingern vor sich ausgestreckt. „Geh dahin, woher du gekommen bist.“
„Lasst mich erklären ...“
„Wir wollen nichts hören! Wikingerhure! Verräterin! Hexe! Deine Göttin wird dich strafen!“
Die erste drehte sich um und rannte davon, eine andere folgte ihr, dann flohen alle Frauen, so rasch sie konnten, durch den Wald dem Dorf zu.
Beklommen sah Rodena ihnen nach. Sie dachte voller Reue an ihre Mutter Kira, die diesen Bach einst gehütet hatte und die ganz sicher niemals in einen solchen Zwiespalt geraten war. Hatte sie ihre Göttin verraten? Ja, das hatte sie. Sie hatte ihre Heimat verlassen und Thore nach Norwegen folgen wollen, das hatte Sirona ihr nicht verziehen.
Langsam ging sie durch den kahlen Wald zum Bachlauf, hörte das Geschrei der Krähen über sich in den Ästen und beugte sich dann über das flache Becken, in dem sie so oft ihre Zeremonien für die Göttin vollzogen hatte. Die Frauen hatten richtig gesehen – das Wasser des Baches hatte sich rot gefärbt.
Entsetzt starrte sie in das Gewässer, sah silbrige Fischlein darin wie zuckende Pfeile vorüberschießen und rötliche Wasserwirbel emporspritzen. Dann plötzlich brach die Abendsonne durch die graue Wolkendecke und ließ den Bach in hellem Rot erglühen, als flösse durch Moos und Laub ein Strom brennender Lava.
Rodena erzitterte. Nie zuvor hatte ihre Göttin ihr eine solch eindeutige Drohung geschickt. Was Sirona ihr hier im Zorn ankündigte, war mehr als nur Kampf und Tod. Es war Vernichtung.
Langsam und mit bang klopfendem Herzen ging sie zur Höhle zurück. Was konnte sie tun? Wie die Göttin wieder versöhnen? Ach, es war nicht möglich, vor ihr zu lügen oder ihre Tat zu beschönigen. Sie konnte nur hoffen, dass Sirona sich besänftigen würde – vielleicht nicht um ihretwillen, so doch um Kiras willen, die der Göttin immer treu gedient hatte.
Vor dem Eingang stand Papia, emsig beschäftigt, die irdenen Töpfe sauberzuwaschen und auf einen Stapel zu stellen.
„Mit wem hast du so laut geredet?“, rief sie ihr entgegen. „Ich glaubte schon, wir bekämen Besuch.“
„Kaum“, gab Rodena wortkarg zurück.
„Wolltest du Wasser am Bach holen? Du hast den Krug vergessen.“
„Tatsächlich?“
„Was ist denn mit dir los?“
„Nichts.“
Papia ließ sich durch die knappen Antworten nicht einschüchtern. Sie war am Strand gewesen und hatte gesehen, dass die Zahl der Kämpfer, die Thore dort um sich versammelte immer größer wurde.
„Ich bin froh, dass Thore beschlossen hat, Wilhelm Langschwert anzugreifen“, schwatzte Papia, während sie Rodena in die Höhle folgte. „Wenn er ihn besiegt, wird er die gefangenen Wikinger befreien, und vielleicht werde ich dann Ubbe wiedersehen.“
Rodena fiel dazu nichts mehr ein. Dieses Mädchen war geradezu beängstigend blauäugig. Thores Angriff würde die Gefangenen viel eher in Lebensgefahr bringen, denn Wilhelm würde versuchen, sie als Geiseln zu benutzen. Doch sie hütete sich, Papia diese Vermutung mitzuteilen, das Mädchen war voller Hoffnung, weshalb sollte sie sie zerstören? Den Lauf der Dinge würde es doch nicht ändern.
Rodena schwankte plötzlich und kauerte sich rasch auf ihrem Lager zusammen.
„Was ist mit dir?“
„Nichts. Mir ist schwindelig. Lass mich!“
„Aber du bist ganz blass. Trink etwas Wasser …“
Rodena hörte sie schon nicht mehr, denn unversehens war die Flut der Bilder über sie gekommen. Sie sah seltsame Dinge, die keinen Sinn ergaben. Ein zottiger Bär erhob sich auf die Hinterbeine und reckte drohend die Pranken. Sie sah den Geifer aus seinem Maul laufen, die mächtigen Eckzähne gelblich glänzen, die kleinen, dunklen Augen sich in wildem Zorn verdrehen. Ein riesiger Wolf stürzte sich auf den Bären und verbiss sich im Bauchfell des Tieres, während die Pranken des Bären in seinem Rücken wühlten. Ineinander verschlungen kämpften die Tiere, zerrten, fauchten, brüllten, und keines konnte die Überhand gewinnen. Mächtige Stämme knickten ein und stürzten ächzend zur Seite, andere Bäume mit sich zu Boden reißend, ein Fluss loderte in roter Feuersbrunst, eine riesige Woge wuchs am Horizont des Meeres und stürzte
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