In den Häusern der Barbaren
sie sich mit einer Schüssel Eis auf dem Bett zusammenrollen, den Fernseher anschalten und zuschauen, wie man stockdummen Müttern in Gerichtskulissen und Talkshowstudios mit gesundem Menschenverstand oder wüsten Beschimpfungen beizukommen versuchte. Dann doch lieber dieses Bücherregal ausmisten, die alten Dr.-Seuss-Reime und andere Frühlesebücher zur Seite legen, an denen auch Samantha noch Spaß haben könnte. Wenn das Zimmer der Jungen hinterher weniger vollgestopft aussah, könnte der Erfolg ihr Elan für die Zubereitung des Mittagessens verleihen. Danach würde sie mit Samantha ein wenig durchs Viertel spazieren und sehen, ob sie vielleicht einschlief; sie fing nämlich gerade an, den Mittagsschlaf auszulassen, was sie dann nachmittags oft launisch schreien ließ. Der Besuch des Staatsanwalts hatte Maureen aus dem Konzept gebracht, doch der Anblick dieser Bücher führte sie wieder in die Spur. An jedem Buch hing ein Stück ihrer Vergangenheit und ihrer Hoffnungen, und sie würde sich nur schwer von den vielen bunten Seiten trennen können, von den Lastern, Zügen und Raumschiffen, an die sie sich jeweils noch gut erinnern konnte. In vielen stand auch das Kaufdatum oder der Name des Kindes: Brandons Lieblingsbuch mit 3. Die anscheinend willkürliche Zusammenstellung von Themen und Bildern in diesen Büchern folgte einer poetischen Ordnung, wie sie jetzt erkannte. Hier ein Stück des alten Ägypten, mit akribischen Illustrationen zum Leben erweckt, hier ein Kinderwissensbuch über die menschliche Evolution. Australopithecus, Homo habilis. Diese Bücher hatten sie gekauft, um aus ihren Söhnen kosmopolitische Prinzen zu machen. Aber das war alles zu viel. Sie schaute sich die Sammlung Kunstgeschichte für Kinder an, die ihre Söhne nicht ein einziges Mal aufgeschlagen hatten. Michelangelo und seine Sixtinische Kapelle setzten Staub an, weil die Hand Gottes zwar den Menschen berührte, nicht aber ihre Söhne.
»Heute Morgen hat das Jugendamt angerufen«, sagte Scott hinter ihr.
»Mm-hm.«
Scott setzte Samantha auf den Boden und ließ sie durchs Zimmer laufen. Vielleicht würde das seine Frau von den Büchern ablenken, die sie da sortierte. Dieser Moment war sowohl bemerkenswert als auch vorhersehbar, dachte Scott: Er und seine Frau waren in eine öffentliche Krise gestürzt, wurden im Fernsehen, in Zeitungen, im Internet peinlich vorgeführt, aber die grundlegende Dynamik ihrer Ehe blieb unverändert. Ich versuche, die Katastrophe zu umschiffen, und sie hört immer noch nicht zu.
»Maureen, wir müssen uns konzentrieren«, beharrte er. »Das Jugendamt ist von der Sache mit dem Wellnesshotel aufgeschreckt worden. Dass du allein in dem Hotel warst. Anscheinend rollt schon wieder eine, ich zitiere, ›Welle der Wut‹ auf uns zu. Die Medien haben sich über MindWare informiert und behaupten, ich sei ein Softwaremillionär, und sie schreiben, wie viel unser Haus wert ist. Peter Goldman hat gesagt, man nennt uns ›ein Symbol des Exzesses‹.«
»Das hat Peter dir erzählt?«, fragte Maureen und drehte sich endlich zu ihm um. »Hast du mit ihm gesprochen?«
»Ja. Heute Morgen. Ich habe ihn angerufen, nachdem ich mit den Leuten vom Jugendamt und diesem Spinner Ian Goller telefoniert hatte. Goller hat angerufen, kurz bevor der Staatsanwalt hier aufgetaucht ist. Er meinte, wir sollten zum Gericht kommen, wenn die Vorverhandlung gegen Araceli losgeht. Und wir sollten die Jungen mitbringen.«
»Aber letzte Woche hat er gesagt, wir bräuchten nicht zu kommen.«
»Nicht in die Verhandlung. Zu einer Kundgebung draußen. Am selben Tag.«
»Eine Kundgebung? Eine Kundgebung gegen Einwanderer? Wozu das denn?«
»Wegen der Kinder. Goller meint, das erhöht den Druck aufs Jugendamt, uns in Ruhe zu lassen. Darum habe ich dem Typen ja auch gesagt, dass ich die Anklage fallen lassen will. Weil mir die ganze Sache zu verrückt wird. Aber jetzt weiß ich auch nicht mehr. Was passiert, wenn ich dem Jugendamt dasselbe erzähle wie gerade dem Staatsanwalt? Dass es unsere Schuld war? Was sagen wir nun?«
Statt zu antworten, holte Maureen tief Luft, um sich zu sammeln, ging dann zum großen Wandschrank im Kinderzimmer und öffnete ihn. Sie ließ die Stille noch ein wenig in der Luft hängen, konzentrierte sich dann auf die nächste vor ihr liegende Aufgabe: ein halbes Dutzend Plastikkisten voller Spielzeug. Sie würde die Jungen alles durchsehen und dann entscheiden lassen, was sie behalten wollten, und den Rest würde sie an
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