Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Klauen des Bösen

In den Klauen des Bösen

Titel: In den Klauen des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
Käfig oder neue Anlegeseile für die Boote oder dort, wo vorher etwas schäbig ausgesehen hatte, einen frischen Anstrich. Stubbs hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass Michael von allen als letzter ging und sich um alles kümmerte, was die anderen vergessen hatten.
    Für Michael war die Arbeit eine Art Paradies.
    Er hatte schon immer gewusst, dass er sich von den übrigen Kindern irgendwie unterschied. In Jennys Alter hatte er sich angestrengt bemüht, mit den anderen Kindern zu spielen. In der Schule hatten die Klassenkameraden seine Andersartigkeit gespürt; einen echten Freund hatte er nie gefunden, niemand, mit dem er über die seltsame Leere hätte sprechen können, die in ihm gähnte und ihn zu verschlingen drohte. Er hatte im Laufe der Jahre gelernt, Normalität vorzutäuschen, über die Witze der Jungen gelacht und Gefühle simuliert, die er überhaupt nicht empfunden hatte.
    Das Moor aber hatte ihn von klein auf fasziniert. Dass er doch nie einen Freund haben würde, hatte er bereits als Zehnjähriger erkannt, und deshalb war er in das Moor hinaus gegangen und hatte die sumpfigen Wasserarme und die Tiere beobachtet und die Pflanzen bestimmen gelernt. Im Moor machte ihm nichts angst, und er hatte sich auch nicht ein einziges Mal verirrt. Obwohl er wusste, dass die Wasserwege wie auch die vielen winzigen Inseln, für die meisten Menschen ein verwirrendes, furchterregendes Labyrinth darstellten, war für ihn jede Insel etwas Besonderes, kannte er jede einzelne Biegung.
    Er war seinem Vater dankbar, dass er nun sogar bezahlt wurde, noch mehr Zeit in der Moorwildnis zu verbringen.
    An diesem Abend wollte er auf Froschjagd gehen. In dieser Jahreszeit kamen die großen Ochsenfrösche an die Oberfläche, und er hatte bereits ein Terrarium für zwölf Frösche gebaut. Mit ein bißchen Glück würde er vielleicht eine Laichmasse entdecken und dann einen ganzen Lebenszyklus der Frösche zeigen können. Er kletterte mit einem großen Eimer, mit Fangnetz und Taschenlampe in ein Boot und setzte mit kaum hörbarem Ruderschlag ab. Das kleine Boot glitt durch das Wasser, ohne ein Lebewesen zu stören. Nach wenigen Minuten befand er sich inmitten eines Dickichts von Pflanzen, und seine Ohren nahmen die Symphonie der Insekten und Frösche im Sumpf wahr.
    Da, auf einmal, begann er aus dem Inneren des Moores ein ganz neues Geräusch zu hören. Er folgte dem lockenden Ton und legte sich stärker in die Ruder. Das Boot glitt immer schneller durchs Wasser.
     
    Kelly lag in ihrem neuen Zimmer auf dem Bett ausgestreckt und beobachtete die langsamen Drehungen des großen Ventilators an der Decke. Sie genoß das kühlende Lüftchen. Sie vermochte noch immer nicht zu glauben, dass dies ihr Zimmer sein sollte - mit Fenstern nach drei Seiten, mit einem eigenen Bad und, was besonders schön war, sogar zwei Türen. Eine Tür öffnete sich ins Innere des Hauses, die andere auf einen kleinen Absatz, von wo eine Treppe in den hinteren Hof führte. Der Raum war, wie sie vom Großvater wusste, als Gästezimmer gedacht gewesen; da selten Besuch kam, hatte sie ihn bekommen. »Mädchen in deinem Alter brauchen ein eigenes Bad«, hatte er erklärt. »Auf die Weise kannst du deine Sachen ausbreiten, ohne wem in die Quere zu kommen. Aber lauf bloß nicht weg!« hatte er mit bedeutungsschwerem Blick zur Außentür gewarnt. »Es wäre mir gar nicht recht, wenn deine Mutter verlangte, dass die Tür zugenagelt wird.«
    Kelly war errötet. Konnte er Gedanken lesen? Sie versprach, nachts nicht wegzulaufen.
    Kelly hatte jedoch nicht die Absicht, ihr Versprechen zu halten.
    In Atlanta hatte sie schon seit zwei Jahren ganz nach Belieben kommen und gehen dürfen. In Villejeune schien allerdings nichts zum Ausgehen zu verlocken. Bei einer nachmittäglichen Fahrt durch die Stadt - falls man Villejeune überhaupt als Stadt bezeichnen konnte - hatte sie keine irgendwie interessanten Jugendlichen bemerkt. Alle sahen genauso langweilig aus wie die Typen in Atlanta.
    Sie packte die restlichen Sachen aus, die den Wandschrank keineswegs füllten. Ihre Kosmetika, die in Atlanta in der obersten Schublade verstaut gewesen waren, stellte sie in den Arzneischrank. Sie rollte die Plakate aus, die sie in Atlanta von den Wänden gepellt hatte, hielt sie gegen die schönen, bunten Tapeten und stopfte allesamt in den Papierkorb. Großvater hatte das Zimmer perfekt eingerichtet.
    Kelly trat ans Fenster. Sie schaute über den Rasen zum Kanal aufs Moor. Es begann zu dämmern.

Weitere Kostenlose Bücher