In den Klauen des Bösen
worden war, für ihren Mann hielt; egal, was sie sagte.
Aber was sie ihm erzählt hatte, war ja genaugenommen keine Lüge gewesen. Denn bis am Morgen Clarey Lambert bei ihr erschienen war, um ihr mitzuteilen, dass George nicht mehr zurückkommen würde, war sie selbst sich nicht sicher gewesen, dass er der Tote war. Und im übrigen hatte auch Clarey das eigentlich nicht behauptet.
Klar - an den leblosen Augen der Leiche im Wasser hatte sie George sofort erkannt. Es waren seine Augen - die seltsam flachen, leblosen Augen. Als sie dann aber das ganze Gesicht gesehen hatte, war sie sich gar nicht mehr so sicher gewesen.
Das Gesicht des Mannes hatte fürchterlich alt ausgesehen, George aber war abends so jung gewesen wie immer. Allerdings verängstigt.
Sie hätte Judd Duval hinterher wahrscheinlich nicht aufsuchen, sondern einfach nach Hause gehen und keiner Menschenseele von ihrer Beobachtung berichten sollen. Aber sie hatte es nun einmal getan und nach der Rückkehr mit Judd und dem anderen Polizisten die klaffende Wunde in der Brust des Toten bemerkt.
Ob der Tote George war oder nicht - sie wusste auf alle Fälle, was ihm zugestoßen war, und sie hätte sich nicht gehen lassen und nicht vom Schwarzen Mann reden dürfen. Immerhin hatte der Polizeichef sie nicht bedrängt, als sie ihn angelogen hatte. Und Clarey Lambert gottseidank auch nicht.
Am Morgen war dann nämlich Clarey Lambert zu ihr herübergerudert und aus dem Boot zu ihr auf die Veranda hochgeklettert. Den Grund ihres Kommens hatte Amelie sofort geahnt, so dass die Worte sie gar nicht überraschen konnten.
»George wird nich’ mehr nach Haus’ kommen, wird er nich’«, hatte Clarey gesagt, sich auf der Veranda im Schaukelstuhl niedergelassen und Amelie die Hand gehalten. »Ich denk’ mir, es hätt’ für dich Schlimmeres geb’n können.«
Amelie hatte geschwiegen. Sie wartete, dass Clarey den wahren Grund des Besuchs nannte. Sie musste nicht lange warten. »Ich hab’ g’hört, die von der Stadt hab’n ‘nen Toten gefund’n die Nacht.« Amelie war überzeugt, dass Clarey ganz bewusst nicht erwähnte, dass es sich um George handelte. »Da nehm’ ich an, die wer’n herkommen und dir ‘ne Menge Fragen stell’n.« Wie glühende Kohlen hatten ihre Augen sich dabei in Amelies Seele gebohrt.
Amelie hatte schnell überlegt. Wenn die Alte nicht wusste, dass sie die Polizei zum Toten geführt hatte, so würde die Alte es von ihr auch bestimmt nicht erfahren. »Was willst von mir?« fragte sie vorsichtig.
Clarey hatte eine Weile geschwiegen und sie schließlich ganz merkwürdig angesehen. »Sag ihnen nix. Wenn sie frag’n, dann sag ihnen, George sei nich’ da, und du weißt nich’, wo er is’.« Amelie hatte nur genickt, und Clarey hatte sich aus dem Schaukelstuhl gestemmt. »Die komm’ vorbei, un’ du sagst ihnen nix. Verstehst du mich?«
Im Grunde hatte sie ja auch nichts gesagt.
Nur so viel, wie sie absolut hatte sagen müssen. Und bestritten, dass der Tote George war.
Sie spürte eine neue Wehe und schloss die Augen, wie um den Schmerz zu vertreiben. Als der Schmerz ein paar Sekunden später nachließ, machte sie die Augen wieder auf - und war starr vor Schreck.
»Das war George, den Sie gestern abend gefunden haben, nicht wahr?« fragte er.
Amelie wollte ihm die Hand entziehen. »Sie haben kein Recht, herzukomm’.«
Kitteridge umschloss ihre Hand fester. »Ich muss es wissen, Amelie. War es George? Wissen Sie, was ihm widerfahren ist?«
Amelie blickte sich hilfesuchend um; natürlich umsonst. Sie wurde von einer neuen Wehe gepackt, nach der sie zu erschöpft war, um sich gegen sein Fragen wehren zu können. »Kann sein«, flüsterte sie. »Aber ich hab’ ihm nix getan. Un’ ich kann’ nich’ mal schwör’n, dass er’s wirklich is’. Er sah überhaupt nich’ wie George aus. George war nich’ alt.«
»Also gut, Amelie. Darüber will ich nicht mit Ihnen streiten. Aber wissen Sie, was ihm widerfahren ist?«
Amelie schob stur das Kinn vor. Er spürte das Erschauern ihres Körpers unter seiner Hand. Angesichts ihrer offenkundigen Angst wiederholte er noch einmal, was sie am Abend zuvor Marty Templar erzählt hatte. »Was haben Sie damit gemeint, Amelie? Wer ist dieser Schwarze Mann?«
Ihr Gesicht wurde blutleer. Sie verkroch sich in den Kissen. »Das dürf’n Sie mich nich’ frag’n«, flehte sie. »Wenn Sie frag’n müss’n, frag’n Sie Clarey Lambert. Oder Jonas!«
»Jonas?« fragte Kitteridge. »Wer ist
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