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In den Klauen des Löwen

In den Klauen des Löwen

Titel: In den Klauen des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bestimmte Wurzeln? Ich schaffe kaum eine!‹ Und das Tag für Tag, Woche für Woche.« Malanga sah auf das blitzende Skalpell in seiner Hand. »Ich ließ mich versetzen – auf die Kinderstation. Hier war alles anders. Die Kinder machten mich zu ihrem Freund. Ich erzählte ihnen unsere Märchen … von den Mondgöttern und den Leopardenmenschen, den Geistern der uralten Elefanten und dem König der Gorillas. Hier fühlte ich mich wohl, hier war ich glücklich. Die Kinder sahen nicht meine dunkle Haut, sie sahen nur mich. Und dann wurde ich auch von dort versetzt – die Eltern hatten sich darüber beschwert, daß ein Neger ihre Kinder betreute.«
    Malanga sah Thorwaldsen an. Die vier Bantus hatten ihm das Hemd vom Leib gerissen. Über die weiße, behaarte, schweißbedeckte Brust flammte der Widerschein der Feuer.
    »Man bot mir eine Stelle in der Anatomie an … was blieb mit übrig, ich nahm an. Ich wollte ja in Europa bleiben, ich wollte lernen, ich wollte zeigen: Afrika ist anders! Die junge Generation gehört zur Welt!« Malanga nahm eine Schere vom Tisch und eine große, klemmende Pinzette. »Hier hatte ich endlich Ruhe, unten im Anatomiekeller, vor den Marmortischen und Zinkwannen. Die Leichen sprachen nicht mehr, sie wehrten sich nicht, daß eine schwarze Hand sie aufschnitt. Ich wurde Assistent des Anatomieprofessors, teilte die Leichenteile zur Präparierung ein, überwachte die Studenten, die Muskeln, Gefäße und Nerven bloßlegten; ich übernahm frische Leichen von Toten, die keine Angehörigen mehr hatten. Landstreicher, Säufer, Zuchthäusler, deren Verwandte den Toten nicht haben wollten. Sie wurden meine Freunde. Mit ihnen unterhielt ich mich. Sieh, mein Junge, sagte ich. Nun präpariere ich dir die Lunge heraus. Eine schäbige Lunge. Zerstört vom übermäßigen Rauchen. Hast wohl deine Zigaretten in Zeitungen gedreht, was? Nun hast du einen Lungenkrebs gehabt … aber du hast wenigstens gelebt, du wurdest von den anderen akzeptiert, trotz Dreck und Läusen und Uringestank. Junge, du warst wenigstens ein Weißer! Ich bin ein Neger, und wenn ich dich jetzt auch aufschneiden darf, bin ich dennoch weniger wert als deine beschissenen Unterhosen.« Malanga atmete tief auf. »Ein Jahr blieb ich im Leichenkeller. Es war keine verlorene Zeit. Ich lernte, wie man einen Menschen zerlegen kann, genauso wie einen Automotor … in einzelne Schrauben, Muttern, Kolben und Zahnräder. Nur hießen sie hier Knochen, Muskeln, Nerven, Blutgefäße, Organe. Ich wurde ein glänzender Anatom. Dort übte ich auch, wie man vom Menschen eine Haut abzieht. Es ist so einfach wie bei einem Kaninchen.« Malangas Kopf fuhr ruckartig vor. »Ich werde es Ihnen zeigen, Sir.«
    Die vier Bantus hielten Thorwaldsen umklammert. Wie in einem Schraubstock hing er zwischen den Händen. Es war unmöglich, sich zu rühren. Welch einen Sinn hätte es auch gehabt, sich zu wehren? Dem Unabänderlichen kann man nicht ausweichen, nicht weglaufen; es holt einen immer wieder ein. Nur die Qual wird länger.
    »So etwas können Sie nicht tun, Malanga«, sagte Thorwaldsen heiser.
    »Wer will mich daran hindern, Sir?«
    »Niemand von uns … nur Sie selbst.«
    »Appellieren Sie nicht an mein Gewissen. Ich habe keins, wie auch Sie keins hatten, als Sie mich in der Grube ließen. Den Tod, den ich dort erwarten sollte, kannten Sie genau: Wahnsinn durch Durst. Ein Sterben voller Grauen. Sie hatten kein Mitleid, Sir. Warum verlangen Sie es von mir?«
    Thorwaldsen schüttelte den Kopf. Es war das einzige, was er noch bewegen konnte. »Kein Mitleid, Malanga. Es ist etwas anderes. Sie sind Arzt!«
    Das Gesicht Malangas blieb eine starre Maske. Die Instrumente in seinen Händen bebten nicht. Aber er trat auch nicht an Thorwaldsen heran, um mit dem Skalpell den ersten langen Schnitt in die Haut zu tun, um sie dann stückweise abzutrennen. Neben sich hörte er Budumba laut durch die Nase atmen. Er schien zu ahnen, was ihn erwartete, wenn die Rache an Thorwaldsen beendet war.
    Ich bin Arzt, dachte Malanga. Ich bin mit meiner ganzen Seele Arzt, aber wer hat sich jemals um meine Seele gekümmert? In Europa hat man nur die andersfarbene Haut gesehen. Das einzige Mädchen, das ich wirklich liebte, wird mich niemals heiraten, weil ich ein Bantu bin! Überall auf dieser Welt werde ich nur ein Neger sein. Nur hier nicht, in meinem Afrika, unter meinem Volk, in der Savanne, in den Mondbergen, in den Toro-Sümpfen. Was hat das alles genutzt? Die Missionsschule, das

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