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In den Klauen des Löwen

In den Klauen des Löwen

Titel: In den Klauen des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gymnasium, das Studium, die ärztliche Praxis, das Aufsaugen des Wissens, als sei ich ein trockener Schwamm, diese Wonne, nicht mehr dumm zu sein, sondern ein Mensch, der erkennen gelernt hat. Was hat das alles genutzt? Mein Traum von einer eigenen Praxis – vorbei. Das Häuschen am Victoria-See – vorbei. Die Kinder, das Lachen im Garten, die Liebe Corinnas, die wie eine zweite Sonne ist, die aufgeht, wenn die andere im See versinkt – vorbei. Was ist für mich die Welt noch wert?
    Ich bin Arzt … Heilen und helfen habe ich geschworen … Nun ziehe ich einem Menschen die Haut vom Körper und will, daß er vor Schmerzen wahnsinnig wird, daß sein Gebrüll den Nachthimmel aufreißt, daß vor diesem Tod der Qual sogar die Tiere flüchten … Und ich bin Arzt …
    Malanga drehte sich brüsk weg und warf die Instrumente auf den Tisch zurück. Thorwaldsen schloß erschöpft die Augen. Mein Gott, ich danke dir, betete er im stillen. Ich habe mich nie um dich gekümmert, Gott … aber diesmal warst du vonnöten. Es scheint dich wirklich zu geben.
    Die Stimme Malangas schreckte ihn wieder auf. Er öffnete die Augen. Es schmerzte, und erst da wußte Thorwaldsen, daß seine Augen aufgequollen waren. Er weinte.
    »Beweisen Sie Haltung, Sir«, sagte Malanga starr. »Sie werden sterben auf afrikanische Art. Nicht durch moderne Instrumente. Man wird Sie draußen in der Steppe an einen Baum binden. Mit der Morgensonne kommen die Löwen … aber wem erzähle ich das. Wer kennt die Lebensgewohnheiten der Löwen besser als Sie? Ich lag in einer Fallgrube – Sie sind an einen Baum gebunden. Sie haben die gleiche Chance wie ich! Betrachten Sie das als fair, Sir?«
    »Ja.« Thorwaldsen nickte mühsam. »Das ist fair, Malanga. Ich danke Ihnen.«
    Malanga winkte. Die vier Bantus hoben Thorwaldsen hoch und trugen ihn aus dem Feuerkreis weg in die Dunkelheit. Irgendwo in einer Hütte banden sie ihm die Hände und Füße zusammen, bogen ihn wie einen Bogen, bis seine Fäuste an den Füßen lagen und verschnürten sie miteinander.
    Noch ein paar Stunden Aufschub, dachte Thorwaldsen und drückte das Gesicht gegen die Erde. Unendliche Müdigkeit überkam ihn. Die Schwäche, die nach der Angst folgt. Ein paar Stunden … und dann die Steppe, die hungrigen Löwen, ihr Knurren, ihr unschlüssiges Herumschleichen um den Baum mit dem zappelnden Menschen, der erste Prankenhieb, nur zur Information, was danach kommt … und dann der Sprung, die Krallen, die den Körper zerfetzen, die Zähne, bluttriefend vom ersten Biß …
    Thorwaldsen biß die Zähne zusammen.
    Ich habe eine Chance, dachte er. Ich habe immer noch eine Chance. In der Savanne ist alles möglich. Eine Patrouille der Regierungstruppen kann kommen, ein Hubschrauber mich entdecken, die kreisenden Geier können Suchtrupps anlocken, ja, sogar die Löwen können satt sein, wenn sie vor mir eine Impala oder einen Wasserbock geschlagen haben. Alles, alles ist möglich.
    Noch lebe ich! Das allein zählt jetzt.
    In dem Feuerkreis, der zweitausend halbnackte, schwarzglänzende Leiber beschien, standen nun nur noch Malanga und Budumba.
    Die große Stunde war gekommen. Budumbas hündische Angst war gewichen. Der uralte Trotz der Bantus stieg in ihm hoch, ein verzweifelter Mut, ein Lebenswille, der in Anbetracht seiner Lage fast schon Irrsinn war.
    Malanga hielt sich nicht mit langen Reden auf. Er hob die Hand, und der letzte Laut erstarb. Es war fast, als atmeten die zweitausend Menschen nicht mehr.
    »Budumba ist ein großer Zauberer«, begann er. Hinter ihm klirrten die Glasperlenketten. Dieser erste Satz verwirrte Budumba. Er schüttelte sich, als käme ein Hund aus dem Wasser. »Er hat euch von den Göttern erzählt, von dem Weg, den unser Volk gehen soll, von der Rache an den Weißen, die die Geister fordern. Ihr habt dem Zauber gehorcht … niemand kann es euch übelnehmen. Wer wußte denn von euch, daß Budumba lügt?«
    »Er lügt!« schrie Budumba und sprang vor. Er tanzte um den Tisch herum mit den rhythmischen Sprüngen, mit denen er sonst die Seelen der bösen Ahnen verscheuchte. »Er lügt! Habt ihr nicht gesehen, wie die Blitze vom Himmel fielen, wie sie in meinen Händen lagen, wie sie aus meinen Händen wieder zurück in den Himmel zuckten? Habt ihr nicht gehört, wie die Donner rollten, wenn ich die Hand ausstreckte?! Die Götter sind bei mir!«
    Malanga sah sich um. Er sah Hunderte von schwarzen Köpfen, die nickten. Böse, kritische Augen starrten ihn über dem Feuerschein

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