In den Klauen des Löwen
das Bein Budumbas strömte, ohne daß dieser sich rührte, aufbrüllte oder sich wehrte, schrien die zweitausend Bantus auf und warfen die Arme in den Nachthimmel.
Welch ein Wunder. Welch unbegreifliches Wunder!
Ein Mensch wurde aufgeschnitten und spürte dennoch keine Schmerzen!
Malanga kümmerte sich nicht mehr um sein Volk. Der große Zauber war getan, nun war er nur noch Arzt. Er drückte blutstillende Watte auf die Wunde, nahm seinen chromglitzernden Kasten aus der Tasche, in der die sterilen Nadeln und Fäden lagen, und begann, schnell, wie er es tausendmal in Europa getan hatte, den langen Schnitt zu vernähen. Dann wickelte er einen Verband um den Oberschenkel, kontrollierte schnell die Reflexe, hob die Augenlider des Betäubten hoch und drückte noch einmal kurz die mit Äther getränkte Watte gegen die Nase Budumbas.
Dann winkte er. Zögernd kamen vier Bantus in den Kreis, hoben den entthronten Zauberer vom Tisch und trugen ihn weg zu seiner Hütte. Dort warfen sie ihn wie ein Stück Abfall in die Ecke, traten sogar nach ihm und kehrten zum Feuerplatz zurück.
Die zweitausend Bantus lagen auf der Erde, die Stirn gegen den Boden gedrückt. Allein Kwame Kirugu, der König, kam langsam zu Malanga, der unbeweglich neben seinem Tisch stand. Das weiße Tischtuch war nun rot vom Blut.
»Ich danke dir«, sagte Kirugu und gab Malanga die Hand. »Das Volk gehört dir. Was willst du nun tun?«
»Ich führe euch in die Berge«, sagte Malanga mit seltsam tonloser Stimme. »Ich zeige euch euer neues Land. Ihr werdet dort zu essen und zu trinken haben. Wir werden Dörfer gründen und Produktionsgemeinschaften. Ihr werdet Hygiene lernen und ein vernünftiges Leben. Die Kinder werden nicht mehr sterben, die Frauen nicht krank werden, die Männer werden älter werden. Ich werde Missionare in das Land holen, es werden Schulen entstehen, ein Krankenhaus, Pflanzungen nach genauen Plänen. Man wird arbeiten mit Sinn und Verstand. Mehr brauchen wir nicht, um glücklich zu sein. Das Paradies ist um uns, man muß es nur erkennen. In zehn Jahren sind wir ein reiches Volk.«
»Und du wirst ihr König sein!« sagte Kirugu feierlich. Er hielt Malanga den Löwenhaarwedel hin, als sei es ein Zepter. Malanga schüttelte langsam den Kopf.
»Nein, Kwame«, sagte er mit belegter Stimme. »Wenn wir in den Bergen sind, wenn die ersten Missionare kommen, die ersten Ingenieure, die jungen Ärzte, die von Europa unterwegs sind, werde ich gehen. Ich werde dir meine Pläne geben.«
»Das ist unmöglich.« Kirugu starrte Malanga entsetzt an. »Unser Plan von einem mächtigen Bantureich …«
»Ein Hirngespinst von Budumba. Die Völker können nur glücklich sein, wenn sie miteinander leben, zusammenarbeiten für den Frieden, sich ergänzen und gegenseitig schützen. Herren und Sklaven, ob weiß oder schwarz – das ist vorbei. Wir werden mit unserer Umwelt Frieden machen, wenn wir den Platz erreicht haben, auf dem wir leben können.«
»Und du?« Kirugu umklammerte die Schulter Malangas. Es kam ihm vor, als verfalle er sichtlich, würde kleiner, schrumpfe zusammen. »Malanga … wo willst du denn hin?«
»Irgendwohin.« Malanga sah Kirugu aus unendlich traurigen Augen an. »Wo man mich nicht kennt, wo keine Erinnerungen sind … vielleicht nach Amerika … auf irgendeine Insel in der Karibik … nur weit, weit weg … Ich bin an einer weißen Frau zerbrochen, Kirugu. Ich bin einfach ausgebrannt.«
»Ich werde sie töten!« knirschte Kirugu. »Ich werde ihren weißen Körper vor dich hinlegen, damit du siehst, was von ihr übriggeblieben ist. Das wird dich heilen, Malanga.«
Er wollte weglaufen und seine Krieger rufen, aber Malanga hielt ihn fest. »Nicht du!« sagte er so heiser, daß man ihn kaum verstand. »Nur ein einziges Mal noch, nur ein paar Minuten will ich so sein, wie man uns sieht … der aus der Urzeit nie entwachsene, der grausame, blutgierige, rachsüchtige, entmenschte Neger … Sie sollen ihren Willen haben. Sie sollen an ihrer Blindheit, ihrem Stolz, ihrer Verachtung allen Farbigen gegenüber zugrunde gehen.«
Kirugu wich zurück. Die Augen Malangas glühten. Er hatte plötzlich Angst vor seinem Neffen. Das ist kein Mensch mehr, durchrann es Kirugu heiß. Das ist nicht mehr Malanga.
Dort steht ein Urwelttier. Eine gnadenlose Maschine. Ein Räderwerk der Rache.
Langsam verließ Kirugu, rückwärts gehend, den Feuerkreis. Zögernd hoben die Bantus den Kopf, standen auf, starrten auf den großen Malanga und warteten.
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