In den Klauen des Löwen
Als sich die weiße Gestalt inmitten der Feuer nicht rührte, so, als sei sie festgewachsen im Boden, gingen sie mit hängenden Köpfen auseinander. Sie krochen in ihre Hütten, rollten sich auf die Lager und brauchten lange, um einzuschlafen. Das Bild des blutenden Budumba, der keinen Laut von sich gab, lag auf ihren Seelen.
Nur die Wachen umkreisten das riesige Lager, die Späher durchstreiften die Savanne, tief gestaffelt lagen die Kompanien der Krieger in Erdhöhlen und improvisierten Bunkern. Vor ihnen brannten am Horizont die Lagerfeuer der Regierungstruppen.
Der große Kampf um die Freiheit begann erst.
Malanga stand allein auf dem Platz, bis die Feuer niedergebrannt waren. Er starrte in die glühenden Aschenhaufen.
Ich werde sie nie töten können, dachte er. Nie! Warum bin ich kein weißer Mann, Corinna … Warum muß ich an dieser Liebe zugrunde gehen … Wenn es möglich wäre, Corinna, würde ich mir die schwarze Haut abziehen und eine weiße Haut transplantieren lassen. Ich würde damit kein anderer Mensch, doch ich wäre weiß … weiß … Aber es geht nicht …
Er sah in die niedergebrannten Feuer, und er war in diesen Stunden der verzweifeltste und einsamste Mensch auf der Welt.
Unterdessen hatte Oberst McCallen die kleine Armee Ugandas indirekt unter seinen Befehl genommen. Der General unterzeichnete zwar die einzelnen Anordnungen, besichtigte die neu aufgestellten Kompanien und die umorganisierte Spezialtruppe, die aus Fallschirmjägern und im Buschkrieg geschulten, eiskalten Burschen bestand, aber hinter allem stand McCallen, unsichtbar, anonym, ein schneller Organisator, der den eingeborenen Offizieren mit geradezu perverser Freude zeigte, daß weißer Geist und weiße Logik doch nicht einfach zur Seite zu schieben seien. Wohl waren alle Offiziere damals in der britischen Armee geschult worden, aber sie hatten nur schießen und marschieren gelernt, grüßen und Ordnung, Waffenreinigen und sich eingraben. Von Taktik hatten sie bloß am Rande gehört.
Auch jetzt behielt McCallen die Logik für sich. Ein paarmal fragten die farbigen Offiziere, warum er dies oder jenes anordne, warum er die Kompanien auflöste und Kampftruppen bildete. Sie bekamen immer die Antwort: »Es hat alles seinen Sinn, meine Herren.«
So zog sich nach einigen Tagen ein Ring um das Volk der Bwambas, unauffällig, aber undurchbrechbar. Fallschirmjäger wurden aus Hubschraubern im Rücken der Bwambas abgesetzt und blockierten die Wege, die in die Ruwenzori-Berge führten. McCallen jagte die Truppen von den normalen Straßen weg, wo sie an den Seiten herumlungerten und warteten, daß die Bantus ihnen in die Arme liefen … er schickte die Trupps, jeden mit Maschinengewehren, Gewehrgranaten und einem Minenwerfer, auf den unwegsamsten Negerpfaden und Tierwechseln in die Wildnis und ließ sie dort Lager errichten. »Kein Feuer!« befahl er. »Wenn es nachts kalt wird, wärmt euch Arsch an Arsch! Das ganze Gebiet zum Ruwenzori muß aussehen, als sei es unbewohnt! Wenn ich ein Flämmchen sehe, kastriere ich euch!«
Von Süden und Osten her schoben sich die Kommandotrupps an die Vorposten der Bwambas heran. Ab und zu überflogen die Hubschrauber die Gebiete, fotografierten die gegnerischen Stellungen und beschossen einzelne Bwambas, die auf Fleischjagd gingen.
In seinem Hauptquartier in Fort Portal betrachtete McCallen die Flugaufnahmen durch eine starke Lupe. Mit einem roten Fettstift malte er einige Kreise auf die Fotos. Die farbigen Offiziere, die ihm zusahen, staunten. Für sie war nur Steppe auf den Bildern. Hohes Gras, Baumgruppen von Euphorbien und Leberwurstbäumen, Hügel, Niederungen und Flußläufe mit verfilztem Regenwald.
»Man merkt, daß ein geschulter Kopf bei ihnen ist«, knurrte McCallen und schob die Fotos weg. »Sie graben sich ein. Sie haben Erdbunker. Und genau an den Stellen, wo sie die Savanne überblicken können. Aber warum gehen sie in die Erde? Sie wollen doch in die Berge ziehen! Wer sich eingräbt, wandert nicht!«
Er betrachtete wieder die Fotos und schüttelte den Kopf. Verrückte Erinnerungen tauchten auf an den letzten, großen Krieg. Die Kamikaze-Flieger Japans, die sich mit Flugzeug und Bombe auf die Ziele stürzten und sich selbst opferten. Die Einmann-Torpedos. Die Todeskommandos, die einen Brückenkopf bis zum letzten Mann verteidigten. Die Kommandotrupps, die hinter den feindlichen Linien absprangen und den Nachschub sprengten. Sollte Malanga auch diese Todestruppen aufgestellt haben?
Weitere Kostenlose Bücher