In den Klauen des Löwen
weiter auf der Straße?« fragte Corinna, nachdem Malanga einen Bach durchquert hatte und mit heulendem Motor das andere, sumpfige Ufer emporgeklettert war. »Wo fahren wir überhaupt hin?«
Malanga stellte den Motor ab. Über sein dunkles Gesicht rann Schweiß.
»Haben Sie Vertrauen zu mir?« fragte er.
»Ja. Säße ich sonst neben Ihnen?«
»Wir müssen von der Straße weg. Haben Sie das Militär gesehen? Ich weiß nicht, wo die Sperren beginnen; auf jeden Fall können sie nur die Straßen kontrollieren. Im Busch sind wir sicher. Wer denkt schon daran, daß man es wagen könnte, quer durch das Land zu fahren? Man hält so etwas für Selbstmord.«
»Und wir wagen es?« Corinna stellte sich in den Wagen. Malanga hatte das Verdeck zurückgeklappt. »Wie lange fahren wir schon?«
»Vier Stunden.«
»Es ist mir wie eine knappe Stunde vorgekommen.«
»Danke.«
Corinna schüttelte den Kopf. Ein merkwürdiger Mensch, dachte sie. »Warum bedanken Sie sich eigentlich immer?«
»Ich genieße Ihre Freundlichkeit, Miß Sander.«
»Haben Sie so schlechte Erfahrungen mit Weißen gemacht?«
Malanga ließ den Motor wieder an. »Ich hasse die Weißen«, sagte er dabei. »Sie sind überheblich, hinterlistig und kaltherzig … wie eine Schlange.«
In Corinna zerriß etwas. Sie spürte es wie einen Stich. Das edle, braunschwarze Gesicht Malangas wurde plötzlich eine Fratze für sie. Erinnerungen tauchten auf. Die Kinderzeit. Großvater Sander, wie er Geschichten aus alten Zeiten erzählte. Negerstämme, die brennend und mordend durchs Land zogen und die Weißen grausam folterten und töteten. Die geheimnisvollen Leopardenmenschen, die in Felle eingenäht in der Nacht die Farmen überfielen und die Menschen mit den Krallen der Leoparden zerrissen. Der große Häuptling Mutunta, der seinen Thronhimmel mit weißer Menschenhaut bespannen ließ. Corinna hatte auf dem Schoß des alten Sander gesessen und atemlos diese Geschichten angehört. »So war es früher in Afrika!« hatte der Großvater gesagt. »Jeder Tag war Kampf! Jetzt weiß du auch, warum die Savanne so fruchtbar ist. Sie ist mit Blut gedüngt!«
Corinna schrak auf, als Malanga wieder anfuhr. Sie klammerte sich am Rahmen des Frontfensters fest und vermied es, Malanga jetzt anzusehen. Habe ich auf einmal Angst vor ihm? dachte sie. Das ist doch Blödsinn! Er ist ein Neger der gebildeten Klasse. Er hat in Deutschland und England studiert. Er hat seinen Dr. med. gemacht. Er ist ein Mensch unserer Generation. Mein Gott, es ist ja alles Blödsinn, was ich plötzlich denke!
Aber irgendwie war das Verhältnis nun anders zwischen ihnen. Stumm ratterten sie durch das hohe Gras und fuhren mitten durch eine weidende große Herde von Topigazellen. Unter einer großen Schirmakazie, im Schatten faul auf dem Rücken liegend, sahen sie eine Löwenfamilie. Die Löwin hob träge den Kopf, als sie das Brummen des Motors hörte und blinzelte zu ihnen herüber. Dann gähnte sie, reckte sich, kratzte über den Boden und warf sich wieder zurück auf die Seite.
Als der Himmel streifig wurde, suchte Malanga einen Platz für das Nachtlager. Er fand eine kleine, tafelartige Höhe, bestanden mit Borassus-Palmen und Baobabs-Bäumen, die in ihrem flaschenförmigen Stamm Wasser sammeln, um in den Trockenperioden zu überleben.
»Ein guter Platz!« Malanga zeigte auf die Erhebung. »Dort sind wir vor Überraschungen sicher.«
Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis sie bei der Anhöhe waren und den Landrover ausluden. Malanga spannte das Zelt auf und trug eine Aluminiumkiste unter einen der großen Bäume. Klappstühle und einen Klapptisch hatte er unter den Arm geklemmt.
»Es ist der Frau von Gott gegeben, für den Magen zu sorgen«, sagte er, stellte Stühle und Tisch auf und warf die Klammern des Kistenverschlusses herum. »Sie finden in der Kiste alles, was Sie brauchen. Sogar eine Kühltasche mit Wein. Sie sollen nie sagen können, eine Safari mit mir sei eine Hungertour.«
Corinna lachte. Der innere Druck, unter dem sie die ganzen Stunden gestanden hatte, verlor sich. Er ist doch ein netter Kerl, dachte sie. Wenn er einen solchen Horror auf die Weißen hat – wer weiß, was er in Europa alles erlebte. Man kennt das ja. Allein schon die Zimmersuche als Student. Ein Schwarzer? Bedauere … das Zimmer ist schon besetzt. Und schnell die Tür zu, als stände draußen der Teufel und hole die Seele.
Malanga arbeitete noch am Zelt, als Corinna mit einer Serviette winkte. »Fertig!« rief sie.
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