In den Klauen des Löwen
an gerodetes Land kamen, an Wiesen und Kaffeesträucher und endlose Baumwollfelder. Corinna erhob sich vom Sitz und lehnte sich an die Frontscheibe.
»Das ist die Farm von Harris! Unser nächster Nachbar. Fahren Sie zu ihm, Malanga. Ob man ihn auch …« Sie schwieg und setzte sich wieder. Malanga drehte auf eine befestigte Straße ab, die schnurgerade durch die Felder lief und weit hinten in einem Waldstück endete. Dort, das war fast sicher, lag das Farmhaus.
Malanga fuhr langsam. Er suchte Spuren in den Feldern, aber er sah keine. Je näher er dem Waldstück kam, um so mehr wunderte er sich. Keine Geier kreisten über den Bäumen, kein Brandgeruch wehte zu ihnen hin. Erstaunt hielt er an, als er über den Baumwipfeln eine dünne Metallspitze sah.
Der Mast einer Sendeanlage. Unzerstört. Betriebsbereit.
»Sie kennen diesen Harris?« fragte Malanga, ehe er wieder anfuhr.
»Ja. Er ist ein Freund meines Vaters. Als Kind mochte ich ihn nicht. Er war immer so grob, so laut, ich hatte Angst vor ihm. Er konnte brüllen, daß die Scheiben klirrten. Später erkannte ich dann, daß dieses Land ihn so geformt hatte. Seine Eltern wurden erschlagen, seine Frau von einem Löwen zerrissen, sein Sohn kam durch einen Schlangenbiß um. Er ist verbittert. Jeden Morgen – so erzählte er Vater –, wenn er aus dem Haus kommt, spuckt er erst den Boden an und verflucht ihn. Aber er bleibt … wie ich.«
Malanga war etwa auf fünfzig Meter an das weiße, zwischen den Bäumen liegende Farmhaus herangekommen, als ihnen eine Maschinengewehrgarbe entgegenknatterte. Sofort bremste er und blieb steif hinter dem Steuer sitzen. »Rühren Sie sich nicht!« sagte er zu Corinna, die herausspringen wollte. »Ich weiß nicht, wer dort im Haus ist.«
Er zog sein Hemd aus, band es an den Lauf seines Gewehres und schwenkte es dann durch die Luft. Vom Haus her antwortete ihm eine neue Feuergarbe, aber sie lag weit neben dem Wagen. Plötzlich tönte eine Stimme auf; über einen Lautsprecher dröhnte sie weit in die Landschaft: »Bleiben Sie stehen! Kommen Sie heraus! Arme hoch! Und langsam vorwärtskommen!« Malanga gehorchte. Er sprang aus dem Wagen und hob die Arme. »Aha! Ein Black!« dröhnte die Stimme. »Komm her, du Rabenaas, und halt die Pfoten schön hoch. Wenn du eine schiefe Bewegung machst, bist du ein Sieb! Bleib stehen!«
Die Stimme brach ab. Corinna war aus dem Wagen gesprungen und winkte mit beiden Armen. »Onkel Mike!« schrie sie. »Onkel Mike. Ich bin es! Corinna Sander! Laß uns näher kommen!«
»Corinna! Zum Teufel, wo kommst du denn her?« Die Stimme im Lautsprecher war geradezu entsetzt. »Los. Kommt rein. Aber schnell!«
Malanga lief zu seinem Wagen zurück und fuhr neben Corinna her, die die letzten Meter rannte. Ihnen entgegen kam ein mittelgroßer, stoppelhaariger Mann mit einem typisch englischen Schnurrbart. Er trug eine weiße Hose und darüber seinen alten britischen Waffenrock. Vor der Brust pendelte eine Maschinenpistole.
»Corinna!« schrie Mike Harris, als er vor ihr stand. »Mädchen, wer hat dich zurückgeholt?« Er drückte sie an sich und sah an ihrem Kopf vorbei mit einem Blick voller Haß auf Malanga. »Du … du warst schon zu Hause?«
Corinna nickte. Mike Harris führte sie ins Haus und drückte sie in einen Sessel. Im Inneren des Hauses sah es wie in einer Festung aus. Alle Fenster waren mit Sandsäcken verrammelt, Schläuche von der Wasserpumpe ringelten sich durch alle Zimmer, überall lag Munition herum. Bis auf das große Wohnzimmer waren alle Zimmer mit den treu ergebenen Bantuarbeitern besetzt. Sie hockten hinter den Sandsäcken und beobachteten das Land.
»Mich bekommen sie nicht auf die Schippe!« sagte Harris wild. »Ich habe mein verstecktes MG wieder ausgegraben, geölt und eingeschossen. Es geht wie eine Nähmaschine! Hinter dem Schornstein ist es in Stellung. Ein taktisch guter Punkt … man kann das ganze Vorgelände bestreichen. Hier kommt keine schwarze Wanze herein! Dreimal haben sie versucht, mich anzugreifen … von Süden her, von rückwärts … Das hat geballert! Sie hatten mindestens fünfzig Tote. Haben sie alle mitgenommen.« Er legte seine Hände auf Corinnas gesenkten Kopf und streichelte ihre Haare. »Dein armer Vater. Und die lustige Erna. Ein Arbeiter von euch, der dem Massaker entgehen konnte, brachte mir die Nachricht. Zehn Stunden später waren sie bei mir. Mich konnten sie nicht überraschen.« Er blickte auf Malanga, der still neben der Tür stand. »Wer ist denn
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