In den Klauen des Löwen
hat, dachte sie dann, und dabei ist man noch so jung. Und wie die unwichtigen Dinge wichtig werden, wenn sie zur Beichte gehören … zum Bekenntnis, noch nie so geliebt zu haben wie jetzt.
Es war am fünften Tag nach dem Abzug der Bwambas aus dem Sumpf, als ein junger Mann, der in Hakibale als Entwicklungshelfer gearbeitet und dort eine Schlosserei eingerichtet hatte, mit einem selbstgebastelten Floß und breiten, geflochtenen Gleitschuhen, ähnlich den Schneeschuhen sibirischer Jäger, die Sumpf- und Wasserrinnen abfuhr und sich vorsichtig vorantastete. Auf der Insel brach fast eine Panik aus, als er zurückkam und schon von weitem schrie:
»Ich habe den Weg gefunden! Ich habe ihn! Ich habe ihn!«
Pater Fritz und einige besonnene Männer hatten größte Mühe, einen allgemeinen, ungeordneten Aufbruch zu verhindern, der viele in den Tod gerissen hätte. Wie von Sinnen hieben die meisten ihre Hütten zusammen, packten und versammelten sich am Ufer der Insel, um diese Hölle von Sumpf so schnell wie möglich zu verlassen.
Pater Fritz war mit dem jungen Mann allein hinausgerudert und kam nun sehr ernst zur Insel zurück.
»Der Pfad ist so schmal, daß nur zwei Männer knapp nebeneinander gehen können«, sagte er. »Und wo er endet, weiß noch keiner. Es kann sein, daß es ein blinder Weg ist und nur noch weiter in den Sumpf hineinführt. Es gehen zunächst vier Mann mit langen Stangen und Seilen allein den Weg ab, ehe wir die Frauen und Kinder als erste hinausschaffen.«
Am Abend wußten die Gefangenen, daß der Weg in die Freiheit führte. Aber es war ein teuflischer Weg. In Schlangenlinien, manchmal im Halbkreis, manchmal sogar eine Strecke wieder zurück und dann scharf im Winkel zur Seite zog sich der schmale Pfad festen Bodens durch den Sumpf.
Die vier Männer steckten ihn mit Bambusstangen und Schilfpuppen ab. Jede Biegung wurde markiert, jeder Bogen, jede gefährliche Stelle, wo der Boden fast einen halben Meter unter dem Wasser lag, glitschig, schwabbelnd, aber fest. Als sie am Abend todmüde zur Insel zurückkamen, hatten sie nur ein paar hundert Meter geschafft. Der Sumpf um sie herum aber war 15 Kilometer groß.
»Wir haben Zeit«, sagte Pater Fritz, als die Stimmung wieder zu sinken begann. »Aus der Luft werden wir verpflegt, im Herzen haben wir den Mut … soll uns die Ungeduld besiegen? Wir wissen nun, daß es einen Weg gibt, wir wissen, daß wir alle überleben werden – nun laßt uns Zeit haben, Freunde. Denkt daran, wieviel Jahre Leben euch jetzt geschenkt worden sind.«
In dieser Nacht loderten die Feuer heller. Allen kam es so vor. Die Hoffnung machte die Nacht zum Tag.
»Morgen oder übermorgen verlasse ich die Insel im Sumpf von Toro, auf der ich dich kennenlernte und auf der ich begriff, was Liebe ist«, schrieb Ingeborg Kraemer in ihrem Gespräch mit Robert. »Ob wir uns wiedersehen? Ich glaube daran, ja, ich weiß es, denn ohne dieses Wissen bliebe ich zurück auf diesem runden Stück fester Erde, das für mich mehr ist als eine stinkende Sumpffläche: Es ist für mich der erste Ort gewesen, an dem ich selbst mein Herz gesehen habe.«
Am dritten Tag nach der Entdeckung des schmalen Pfades zogen die Frauen und Kinder, begleitet von einzelnen Männern, hinaus in die schilfwogende Unendlichkeit des Sumpfes.
Noch wußte keiner, wo und wie der Weg endete. Man war bisher nur vier Kilometer weit gekommen, und immer noch war nur schwabbelnder Boden um sie herum, so weit das Auge reichte.
Die Verpflegungshubschrauber begleiteten aus der Luft den Zug durch das Schilf … eine lange Schlange, immer zwei und zwei hintereinander, und weit voraus der kleine, sich vorwärtstastende Vierertrupp der Markierer, die Einsamen in dieser grünen, wogenden Hölle, die den Weg zum Paradies suchten.
»Wir schaffen es!« sagte Pater Fritz. »Mein Gott, wir schaffen es.«
Es war Nacht. Die lange Schlange im Sumpf stand still. Stehend, oft bis zum Bauch im Wasser, warteten sie auf den Morgen. Die Frauen, die Kinder, die Männer. Sie rührten sich nicht von der Stelle, denn links und rechts von ihnen, nur einen Schritt weit, lag der Tod.
So standen sie die ganzen Stunden bis zum Morgengrauen, bis wieder Licht über der grünen Hölle schien.
Dann tasteten sie sich weiter, zwischen den Bambusmarkierungen hindurch. Sie empfanden weder Hunger noch Durst, sie spürten keine Müdigkeit, sie kannten keine Erschöpfung.
Der Zwerg, der um sein Leben kämpft, hat die Kraft eines Riesen … nie klang ein
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