In den Städten, in den Tempeln
stand auf und trat an einen kleinen Teich heran. Er wandte sich ab und legte die Arme auf den Rücken. Eine ganze Zeit lang schwieg er.
»Ich habe selbst Kinder, Mr. Dalmistro«, sagte er dann, und es klang sonderbar rauh. Ruckartig drehte er sich um. »Die Energetensphäre ist auch uns schon aufgefallen. Es gibt da eine Reihe von Fällen, in denen Menschen plötzlich verschwanden. Nun, das Ferroplasma hat uns eine fast völlig gewaltfreie Gesellschaft beschert. Es gibt da nur einen Haken ...«
»Und der wäre?« Clay spürte plötzlich eine frostige Kälte in sich aufsteigen.
»Der Faktor Freiwilligkeit. Wenn sich jemand freiwillig der Gewalt ausliefert und diese Gewalt im klassischen Sinne aggressionsfrei ist, reagiert das Plasma nicht.«
Clay sprang auf und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. Unter seinen Füßen kräuselte sich die graue Substanz. »Und warum reagieren Sie nicht?« platzte es zornig aus ihm heraus. »Sie sprachen von Verschwundenen. Warum greifen Sie nicht ein? Warum legen Sie dann der Energetensphäre nicht das Handwerk?«
»Ohne ihr etwas nachweisen zu können?« Der Sozialkoordinator schüttelte tadelnd den Kopf. »Nein, mein lieber Dalmistro, so einfach ist das nicht. Ich kann noch nichts unternehmen, und ich kann noch nicht handeln.«
»Dann räumen Sie mir Handlungsfreiheit ein!«
»Dem zornigen Rächer, was?« kommentierte Marita Ribeau. Sie musterte den Comptroller, und es entging ihr nicht, daß er die Fäuste geballt hatte. Sie und der Sozialkoordinator wechselten einen langen Blick. Irgendwo tropfte Wasser von einem Stalaktiten in eine Lache – langsam, monoton, gleichmäßig.
»Nun«, meinte die Sphärenschwimmerin dann, »wenn wir der Auflage von Föderatus genügen ...«
»Ich verstehe.« Yama Jambavat nickte, und Clay begriff nun, daß hinter der faltigen und vom Alter gezeichneten Stirn ein messerscharfer Verstand wohnte. Der Sozialkoordinator griff nach einer Plastkarte und schob sie in den Siegelpräger. Dann reichte er sie ihm. »Sie sind von der Auflage in Kenntnis gesetzt worden?«
»Ja«, sagte Clay. Seine Stimme vibrierte.
»Gut. Marita Ribeau wird Sie von nun an begleiten. Ich glaube, damit können wir diese Unterredung als beendet ansehen. Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Comptroller.« Clay drehte sich um. Marita Ribeau wartete bereits am Ausgang der künstlichen Tropfsteinhöhle.
»Ein Superschwanz«, murmelte sie beim Hinausgehen und schüttelte den Kopf. »Nicht zu fassen.«
Clay preßte die Lippen aufeinander und schwieg.
3. Kapitel
Die Lokation Seelenstraße bestand aus einundsiebzig Tempeln, zweihundertdreiundzwanzig Kirchen, dreihundertvierzig Kapellen, siebenundachtzig kleineren religiösen Besinnungsstätten und siebzehn automatisierten Großproduktionsanlagen, die dafür sorgten, daß die Frommen auch tatsächlich ihr Seelenheil suchen konnten. Einer der vielen Tempel war das Heilige Zentrum der Seligen Sphäre der ESPer-Energeten.
Claybourne S. Dalmistro und Marita Ribeau schritten dem Gebäudekomplex über einen breiten Wandelpfad entgegen. Rechts und links des Weges glänzte das Wasser von Teichen im Schein Dutzender Kunstsonnen, die in dieser Kulturinsel ein permanentes Licht im Bereich von 420 Nanometer spendeten. Es war hell, aber es war nicht zu hell. Golems und Verkünder priesen die Vorzüge der Welt der Seele und verdammten alle Ungläubigen. Ihre dröhnenden Rufe wurden bald übertönt von den Chören und Gesängen der Novizen und Priesterinnen, die, gekleidet in Roben, Kutten und weite Tuniken, Bittgebete anstimmten für die Unerleuchteten des Universalen Herrn, das ›Ungeziefer, über das der Weise Kosmische Geist seine Schützende Hand hält‹, die Verdammten Höllengänger, die bald eingehen werden in das Ewige Inferno, wenn sie nicht auf den Pfad der Erkenntnis geleitet und mit der strengen Hand der Preten in ein Neues Leben, ›getragen vom Zweifel an sich selbst und der Fleischlichkeit‹, geführt wurden.
»Strahlung«, summte Tasche neben Clay. »In einem noch ungefährlichen Bereich.«
Der Comptroller nickte finster und schob sich an einer Teufelsanbeterin vorbei; offenbar hatte sie ihre echten Hände amputieren lassen und trug dafür nun zwei lange, funkelnde Dämonenkrallen zur Schau. »Habt ihr schon das Höllenfeuer kennengelernt? Habt ihr den Langen Schacht gesehen, der bis ins Zentrum allen Seins hinabreicht?« Sie warf den Kopf in den Nacken, und von ihrem nackten Haupt leckten
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