In der Box: Wie CrossFit® das Training revolutionierte und mir einen völlig neuen Körper verlieh (German Edition)
Namen des Gedemütigten, auch noch für alle auf dem Whiteboard einsehbar.
Wie jemand auf diese Erfahrung reagiert, sagt viel über ihn aus. Es zeigt, wie er oder sie sich auf lange Sicht bei CrossFit schlägt. Manche Leute probieren es genau einmal aus und verschwinden dann sofort wieder von der Bildfläche, so wie Stoddard; andere halten durch und machen sich keine allzu großen Gedanken darüber, welchen Rang sie belegen. Sie lernen, sich nicht weiter daran zu stören, und finden relativ zügig ihren Platz in der Gruppe.
Aber dann gibt es noch die, die in den Sog der Spitzenleistung geraten. Das sind jene, die schon allein deshalb überdurchschnittlich motiviert sind, weil sie nicht gern verlieren, und die echte Steherqualitäten besitzen. Auch sie werden anfangs vielleicht jeden Tag aufs Neue geschlagen, verbessern sich aber auch immer ein wenig und arbeiten systematisch an ihren Schwächen, bis sie eines Tages verblüfft feststellen, dass aus ihnen ein Firebreather geworden ist.
18. November 2011. Der 11-Uhr-Kurs im CrossFit Elysium. Es War Freitag. Coach Paul Estrada war da. Etwa zehn Minuten vor Trainingsbeginn traf ich in der Box ein. Die Met-Con »Danny« stand an – ein 20-minütiges AMRAP Hero-WOD bestehend aus 30 Box Jumps, 20 Push Presses und 30 Klimmzügen. Das Workout war nach dem aus Oakland stammenden 35-jährigen SWAT-Sergeant Daniel Sakai benannt, der am 21. März 2009 mit seinen Kollegen Sergeant Ervin Romans, Sergeant Mark Dunakin und Officer John Hege in Ausübung seiner Pflicht gestorben war, ermordet von einem Straftäter, der wegen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen steckbrieflich gesucht wurde.
Ich wärmte mich entspannt an einem Rudergerät auf und legte eine Strecke von 500 Metern zurück, um Schultern, Rumpf und Rücken auf das bevorstehende Training vorzubereiten. Die Maschine surrte gleichmäßig und beruhigend vor sich hin. Fünf Minuten vor Kursbeginn war ich immer noch der einzige anwesende Teilnehmer. Das erinnerte mich an etwas, was Greg Glassman in der Anfangszeit von CrossFit aufgefallen war, als er das Personal Training zugunsten des Kleingruppenmodells aufgegeben hatte: Seine Klienten bezahlten nun weniger Geld für die Stunde, insgesamt verdiente er aber trotzdem mehr. Mit einiger Faszination stellte er fest, dass seine Klienten offenbar lieber in kleinen Gruppen trainierten als einzeln, und er fragte sich, warum das wohl der Fall war. Er vermutete, dass seine Klienten es als Vorteil ansahen, wenn sich seine Aufmerksamkeit während dieses hochintensiven und extrem fordernden Trainings auf mehrere Personen verteilte und der Einzelne nicht permanent im Mittelpunkt stand und peinlichst genau von ihm beobachtet wurde.
Auch Estrada ist ein hervorragender Trainer. Er schafft es immer wieder, seine Sportler mit knappen Worten dazu zu bringen, das Letzte aus sich herauszuholen. Es gibt eine Menge überenthusiastische CrossFitter und Coaches, Estrada gehört allerdings nicht dazu. In Sachen Lob hält er sich an die Devise »Weniger ist mehr« oder »Nicht geschimpft ist Lob genug«. Er ist unerbittlich, aber trotzdem fürsorglich und verfügt über einen enormen Weitblick. In den Kursen besitzt er die unheimliche Fähigkeit, die Leistung eines jeden Sportlers exakt einschätzen zu können und immer genau zu wissen, wie sehr sich dieser gerade anstrengt.
Estrada, mit seinen 1,90 Metern eine imposante Erscheinung, stand normalerweise mit verschränkten Armen in einer Ecke, um alles möglichst gut im Blick zu behalten. Sein Kopf bewegte sich nicht, aber seine Augen suchten ständig den Raum ab, um Fehler an Kursteilnehmern zu entdecken, zu beanstanden – oder bei Bedarf ihre Leistung positiv zu bestärken. Je größer die Gruppe, umso ernster sein Tonfall. Am häufigsten hörte ich von ihm Äußerungen wie »Gewicht auf die Fersen«, »Hantelstange eng am Körper«, »Knie nach außen«, »Ellbogen hoch« oder »Weitermachen«.
Estradas Stimme war normalerweise bestimmt, aber ruhig. Wenn er aber nur das geringste Anzeichen für Faulheit entdeckte, konnte er durchaus laut werden. Selbst intensive Met-Cons, die den gesamten Kurs total ausknockten, riefen bei Estrada kein Mitgefühl für seine »Untergebenen« hervor. Wer jammerte, wie anstrengend das Workout doch sei, wurde geflissentlich ignoriert. Die klassische Szene am Ende eines Workouts im CrossFit Elysium bestand aus einem Raum voller Menschen, die mit ausgestreckten Gliedmaßen auf dem Boden lagen und nach Luft
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