Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In der Falle - Leino, M: In der Falle

In der Falle - Leino, M: In der Falle

Titel: In der Falle - Leino, M: In der Falle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Leino
Vom Netzwerk:
weihnachtlich geschmückten Stockholmer Altstadt herumgelaufen, die Atemluft weiß vom Frost, und er war den ganzen Tag so schweigsam gewesen, dass Tiina schließlich sauer wurde und ihn fragte, warum er sie überhaupt mitgenommen hatte, wenn er die ganze Zeit nur mies drauf war. Sie hatten in den vielen schönen Geschäften in der Altstadt nichts gekauft, und als Tiina von dem stumm dahinstapfenden Vesa wieder einmal keine Antwort auf eine ihrer Fragen bekommen hatte, hatte sie sich ein paar Schritte zurückfallen lassen und erst wieder aufgeschlossen, als sie sich dem Hafen und ihrem Schiff näherten.
    »Doch, es ist wahr«, sagte Vesa und brach in ein betrunkenes Weinen aus.
    Tiina konnte eindeutig nicht entscheiden, wie sie sich zu dem, was Vesa ihr erzählt hatte, verhalten sollte. War es irgendeiner von den dummen Tests, die Vesa manchmal mit ihr veranstaltete und deren Zweck ihr meistens schleierhaft blieb? Vesa konnte manchmal komisch sein, und in letzter Zeit war er es immer öfter, jedenfalls öfter als der gut gelaunte und alberne Vesa, in den Tiina sich vor über einem Jahr auf Teas Fete verknallt und dann, nach ein paar Verabredungen, richtig verliebt hatte.
    »Warum habt ihr’s nicht der Polizei gemeldet?«, fragte Tiina, und die Obertöne von Ungläubigkeit und Misstrauen waren nicht zu überhören. Tiina lag immer noch dort, wohin sie sich vor ein paar Minuten von Vesa zurückgezogen hatte. Er hätte sich gewünscht, dass sie die Arme um ihn schlang und ihm sagte, dass sie ihn trotz allem liebte.
    »Sie hätten Vater umgebracht«, sagte Vesa. »Und als Vater abgehauen ist, haben sie Mutter bedroht. Ich muss machen, was sie sagen. Erst danach kann Vater wieder nach Hause zurück. Und dann ist auch Mutter in Sicherheit.«
    »Schrecklich«, sagte Tiina.
    »Du darfst mit niemandem drüber sprechen«, sagte Vesa. »Das verstehst du doch?«
    »Ja, das versteh ich«, sagte Tiina wie zu sich selbst. »Und warum hast du’s mir nicht früher erzählt?«
    »Ich konnte nicht.«
    Dann berührte sie seinen Arm. Tiinas Finger waren warm, und die Berührung war weich und schüchtern.
    »Zwei Monate geht das schon? Und wie oft hast du’s schon gemacht?«
    »Drei Mal.«
    »Was ist, wenn sie dich erwischen? Was machst du dann?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Was passiert dann mit deinen Eltern?«
    »Ich weiß doch nicht mal, was mit mir passiert.«
    Tiina drückte sich an seine Brust, und sie weinten beide. Schließlich küssten sie sich, und es schmeckte nach Salz, und als er es doch noch schaffte, liebten sie sich wild und verzweifelt und so ohne jede Zärtlichkeit, dass es ihnen beiden wehtat. Dennoch waren sie einander näher als je zuvor. So empfand es jedenfalls Vesa, der sich dennoch schuldig fühlte, doppelt sogar: schuldig einerseits, dass er ihr überhaupt etwas erzählt hatte, und andererseits, dass er ihr nicht alles erzählt hatte. Aber das würde er nie können, selbst dann nicht, wenn sie den Rest ihres Lebens zusammen verbrachten, so wie er es sich schon länger erträumte.
     
    Jetzt, vier Tage später, saß Vesa mit seiner Mutter in der Küche. In Mutters Händen war der Brief, den der Briefträger wenige Augenblicke vorher durch den Schlitz in der Wohnungstür geworfen hatte. Vesa hatte Mutter seinen Namen rufen hören und war aus seinem Zimmer gekommen. Er hatte erraten, worum es ging. Als er in die Küche trat, lag der Umschlag, auf den Vesa in der nachgemachten Handschrift seines Vaters Mutters Namen und Adresse geschrieben hatte, schon auf dem Tisch.
    Mutters Fingerspitzen waren weiß, so fest packte sie zu. Als hätte sie Angst, das Papier in ihren Händen könnte sich sonst verflüchtigen und der Brief sich als Traum erweisen.
    Vesa war erst vor ein paar Tagen aufgegangen, dass Mutter nicht mehr trank. Als er überlegte, wann sie damit aufgehört hatte, kam er auf den Tag von Vaters Verschwinden. Vaters Abwesenheit hatte demnach auch etwas Gutes. Mutter sah besser aus, in ihrer Haut war wieder Leben. Um die Augen hatte sie vom schlechten Schlaf und zu vielen Sorgen immer noch Ringe wie ein Pandabär, und man sah, wo links am Jochbein die Metallplatte eingesetzt war, aber insgesamt wirkte Mutter wieder gesünder. Sie bewegte sich mehr, machte sogar Spaziergänge und rauchte nicht mehr so viel. Make und Jatta hatten sich lange nicht mehr blicken lassen, und das war gut so. Sowieso waren sie nur Vaters Freunde gewesen. Einmal war Make aufgetaucht und hatte nach Vater gefragt. Als er hörte, dass er

Weitere Kostenlose Bücher