In der Falle - Leino, M: In der Falle
gleich nach der Scheidung hab ich mich beworben«, sagte Manninen. »Ich dachte, wenn ich auch nur einen jungen Menschen vor Lindas Schicksal bewahren kann, kann ich mir vielleicht irgendwann verzeihen, dass ich mein eigenes Kind nicht retten konnte.«
»Und hast du’s gekonnt? Dir verzeihen, meine ich?«
»Noch nicht. Aber lass gut sein.«
Viitasalo hätte Manninen gern noch mehr Fragen gestellt, aber als er sah, wie der mit weißen Knöcheln das Lenkrad umklammerte, hielt er den Mund. Seine eigene Familie hatte vielleicht doch noch eine Chance. All ihre Probleme waren noch zu lösen. Er hatte noch niemanden verloren, er brauchte nur das Richtige zu tun, dann war alles noch möglich. Vor allem musste er Prioritäten setzen: Erst kam die Familie, dann die Arbeit. Er versuchte ein zweites Mal, Sari anzurufen, genauso vergeblich wie die vielen Male zuvor.
Manninen hielt vor dem Hotel. Für den Rest der Fahrt hatten sie beide geschwiegen, und Viitasalo wusste auch jetzt, als er aus dem Auto stieg, nicht, was er sagen sollte.
»Danke. Wir sehen uns morgen«, brummte er.
»Tun wir nicht«, antwortete Manninen. »Mir reicht’s, ich geh morgen früh arbeiten. Ich hab Sehnsucht nach der Kundschaft.«
»Und was wird dein Chef dazu sagen?«
»Scheiß drauf«, sagte Manninen. »Aber vergiss nicht, die Unterlagen mitzunehmen.«
Viitasalo nickte, die Hand immer noch an der Autotür. Er hätte gern etwas Persönlicheres gesagt. »Schau vorbei, wenn du doch mal in Finnland bist. Würde mich freuen, wenn wir uns besser kennenlernen würden.«
»Ich schau nicht in Finnland vorbei«, sagte Manninen. »Und du würdest mich nicht wirklich kennenlernen wollen. Aber ich wünsch dir mehr Glück mit deiner Familie, als ich es hatte. Es ist ausnahmsweise wirklich so, wie es heißt: Erst wenn man etwas verloren hat, begreift man, wie wertvoll es war. Man sollte nichts für selbstverständlich nehmen.«
»Ich werd’s mir merken«, antwortete Viitasalo und warf die Wagentür zu.
Manninens Volvo bog von der Hotelspur auf die Straße, ohne dass die Bremslichter aufleuchteten. Manninen hatte recht: Viitasalo wollte ihn nicht besser kennenlernen. Seine eigenen Probleme reichten ihm vollkommen.
Viitasalo schaute in den dunklen Himmel, dann tastete er wieder nach dem Handy. Diesmal war es nicht Sari, die er anrief.
»Marketta«, antwortete die Schwiegermutter fröhlich. Im Hintergrund hörte man den Fernseher laufen.
»Ich bin’s, Juha«, begann Viitasalo. Er holte tief Luft, bevor er fortfuhr. »Es ist wahrscheinlich nicht nötig, und ich bin ein bisschen hysterisch, aber …«
Minuten später, unter der warmen Dusche, fühlte Viitasalo sich schon erleichtert. Marketta hatte versprochen, ein Taxi zu nehmen und zu Hause vorbeizuschauen. Auch Marketta selbst hatte ein paarmal anzurufen versucht, um sich nach Liinas Weihnachtswünschen zu erkundigen.
»Es ist bestimmt nichts«, hatte Marketta ihn zu beruhigen versucht. »Wenn ihr euch gestritten habt, ist sie beleidigt und lässt dich zappeln. Bring ihr was Nettes mit.«
»Und warum geht sie bei dir auch nicht dran?«, hatte Viitasalo gefragt und plötzlich den Wohnzimmertisch vor sich gesehen, auf dem eine Schüssel Rosinen stand. Liina aß sie gern. Warum ihm gerade dieses Bild in den Sinn gekommen war, war ihm schleierhaft.
»Wir Frauen sind manchmal so«, hatte Marketta gesagt. »Sari kommt nach ihrer Mutter.«
»Wenn du meinst.«
»Ich ruf dich von dort an, so in einer Viertelstunde. Ich hab ja die Schlüssel.«
»Danke.«
»Oder noch besser: Ich sag Sari, dass sie dich anrufen soll.«
»Du meinst, das tut sie?«
»Wenn sie hört, wie besorgt du um sie bist – sie weiß, dass du mich so gut wie nie anrufst.«
Die Bemerkung hatte Viitasalo beschämt, vor allem, weil seine Schwiegermutter recht hatte. Er hätte sie schon viel früher anrufen sollen, gleich als er merkte, dass mit Sari etwas nicht stimmte. Auch damals, in der Zeit nach Liinas Geburt, war Marketta Sari eine wichtige Stütze gewesen, und das, obwohl sie zur selben Zeit den Tod ihres Mannes verkraften musste. »Du hast recht, ich sollte mich öfter melden«, hatte er mehr gemurmelt als gesagt.
»Sari ruft mich mindestens zweimal in der Woche an«, hatte Marketta geantwortet. »Ich weiß Bescheid.«
Für einen kurzen Moment hatte Viitasalo etwas Nervöses in Markettas Tonfall zu hören geglaubt, dann aber beschlossen, dass er es sich nur eingebildet hatte. Er hatte sich noch bedankt und das
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