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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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keine Bewegung mehr, denn er spürte immer noch die Kälte der Klinge an seiner Halsschlagader.
    Steiner zischte. »Du Dreckschwanz willst mir was antun?«
    Der Tunesier traute sich nicht, den Mund zu bewegen.
    »Du willst hier befehlen? Willst Chef sein hier?«
    Der Afrikaner konnte nichts erwidern.
    »Komm, ich zeig dir was.« Das Messer immer noch an die Halsschlagader seines Mitbewohners gepresst, zog Steiner den Ärmel seines Hemdes mit der anderen Hand zurück. Seinen Kontrahenten ließ er dabei für keinen einzigen Moment aus den Augen. Die neun Sterne am Arm, mit dem er das Messer festhielt, wurden sichtbar. Schaudernd stierte der Nordafrikaner auf die Tätowierungen.
    Steiner sah, dass der Andere begriffen hatte. Er lächelte. »Und jetzt sag mir. Willst du mir hier was befehlen?«
    Der Tunesier schwieg.
    »Mach die Fresse auf, wenn ich mit dir rede!« Jetzt zitterte Steiners Hand mit dem Messer.
    »Ne ... nein«, beeilte sich der Mitgefangene Steiner zu antworten.
    »Dann hör zu, du Schwanzlutscher. Ich bin nicht in den Knast gekommen, um mich von so einem Bubi wie dir anficken zu lassen.« Er drückte die Klinge noch stärker an den Hals seines Gegenübers, so dass die Haut angeritzt wurde und ein dünner roter Faden die kurze Klinge herunterrann.
    Steiner blickte in gewaltig aufgerissene Augen. Der Schweiß des anderen roch jetzt richtig scharf nach purer Angst. Das gefiel ihm. Also erklärte er seinem Zellengenossen den Tarif. »Wenn du leben willst, dann halt jetzt die Fresse für immer. Noch ein einziges Wort von dir und du bist tot.«
    Der Andere wollte nicken. Er getraute sich nicht.
    Steiner bleckte. »Hier ist mein Zuhause, du miese Ratte. Hast du das jetzt endlich begriffen?«
    Der Nordafrikaner schloss lange die Augenlider, machte sie dann wieder auf. Aber Steiner war mit diesem Zeichen nicht zufrieden.
    »Sag, dass du das begriffen hast.«
    Ganz vorsichtig und langsam machte der Tunesier den Mund auf. »Du bist Chef«, kam kleinlaut über seine blauen Lippen.
    Steiner trat zurück, ließ den Mann los.
    Der fasste sich sogleich mit beiden Händen an den Hals, schnappte irr nach Luft, als wäre er zehn Minuten lang unter Wasser gedrückt worden.
    Der alte Zimmermann blieb vor seinem Angreifer stehen. Er schaute nur noch kurz hin, wie der gelockte Schwarzhaarige sich wegdrehte, sich schnell auf das obere Bett hievte und dort unter seine magere Decke kroch.
    Der Alte steckte sein Knastmesser wieder weg. Er versteckte es wieder so geschickt und so eng am Körper, wie er es getan hatte, als er das Messer eingeschmuggelt hatte. Keine Kontrolle würde es je finden. Steiner hatte Erfahrung darin. Er hatte es jahrelang üben können.

    Ein Profi.

    Aber nun war der Alte doch erschöpft. Er setzte sich auf den Stuhl. Er schaute auf seine Hände. Sie zitterten. Das war nicht erstaunlich. Er wusste, dass sein Leben hier unter all diesen anderen Verbrechern keinen Pfifferling wert war. Immer hatte er kämpfen müssen um ein bisschen Frieden, ein bisschen Sein, ein bisschen Liebe.
    In den letzten Jahren war es besonders schlimm gewesen. Das Alter war unsägliche Last geworden. Nicht körperlich. Aber er hatte keine Pension. Wie hätte er auch eine haben können? Einen Knastbruder wie ihn hatte kein Unternehmen mehr einstellen wollen. Er hatte nur noch unter der Hand gearbeitet, war dabei oft sogar um den kargen Lohn betrogen worden. Seine Altersrente war entsprechend mickrig. Neun Beitragsjahre fehlten ihm sowieso. Zwar war der Lohn im Wauwilermoos sogar bei der AHV angemeldet gewesen, aber sein Einkommen dort war so absolut gering gewesen, das reichte nicht einmal für die Minimalrente. Und nun war sein ganzes mickriges Erspartes weg. In letzter Zeit war sein Leben sogar richtig erbärmlich geworden. Warm zu essen hatte er wohl, doch reichte es selten zu mehr als Schrott aus dem Billigladen. Fleisch war Mangelware. Geld für die Migroskantine war längst keines mehr da. Sozialkontakte hatte er sowieso nie gehabt. Seine einzige Freude war Mina gewesen. Mit ihr hatte er sich glücklich gefühlt. Aber Mina hatte irgendwann auch nicht mehr mit ihm spielen wollen. Hatte sie Angst vor ihm bekommen, weil seine Kleidung immer abgenutzter war, seine Haare immer wilder wuchsen? Er machte sich Vorwürfe. Auch hatte seine kleine Emine seit ein paar Monaten keine Lust mehr auf seine Bonbons, die er ihr immer geschenkt hatte. Hätte er ihr doch mehr Geschenke machen sollen? Frauen lieben das. Sie wollen umworben und

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