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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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mit beiden Armen weit aus wie ein Jongleur, schlug die Hände zusammen, führte sie zitternd an ihren Mund und stammelte: » Jooj, bože moj .«
    Rolf Danner blickte beschämt nach unten. Er nahm an, dass dieser Ausspruch »Ach, mein Gott!« heißen musste, denn das bože moj tönte fast gleich wie im Russischen und diese Version hatte er bei einer Reportage, die er kürzlich auf der Krim gemacht hatte, sehr oft gehört. Als das Wehklagen der Frau verebbt war, blickte er auf. »Wer könnte so etwas tun?«
    »Der Vater es war. Der Vater es war. Ganz bestimmt«, schniefte die Serbin.
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Clara hatte genug von ihm. Sie sprach schon von Scheidung. Wollte Kind nur bei sich. Hätte Sorgerechte sicher bekommen.«
    »Gab es denn Streit?«
    Die Frau schnäuzte ihre Nase. »Sie hatten dauernd Streit. Mich erstaunt das nix, wissen Sie, eine Schweizerin und ein Musliman. Das nicht kann gut gehen.«
    »Ist kürzlich etwas passiert?«, wollte Danner wissen. Konkrete Geschehnisse, das interessierte ihn, und welcher Art die Streite waren.
    »Nicht nur kürzlich es gab Streit. Fast immer, wenn er hier auftauchte, gab Probleme.«
    »Erzählen Sie doch, was genau passiert ist?« Der Zürcher Journalist brauchte einen Aufhänger, ein Symbol, irgendeine Geschichte für seinen Bericht über diesen sinnlosen Mord. Vielleicht ergäben sich daraus sogar Hinweise darauf, wer der Mörder war.
    Das Mädchen kam mit den Getränken auf einem Tablett. Als es dieses hinstellte, erzählte es von sich aus. »Es ging immer darum, wie Mina erzogen werden sollte.«
    »Aha, so, gut. Wie zeigte sich das beispielsweise?«
    Nun antwortete umgekehrt die Serbin für ihre Tochter, die sich still auf einen Stuhl am Tisch setzte. »Als Erin die Mina abholt am Samstagmorgen, beschwert er sich wieder lautstark, dass sie nicht richtig angezogen. Er verlangt, dass sie immer Kopftuch trägt, wenn er sie holt. Clara wehrt sich, da er brüllt wieder rum.«
    »Der Streit ging also um die Kleidung des Mädchens.«
    »Ja. Kleidung. Und Erziehung«, meinte die Frau, als sie Danner den Zucker reichte. »Erin glaubte, dass Clara das Kind aufhetzt gegen ihn. Er fühlt von Clara sich bedroht. Ha! Er, er sich fühlt bedroht.« Sie schüttelte den Kopf, zugleich kam ein zynisches Lächeln auf ihr Gesicht. Dieses Lächeln war so reflexartig, so natürlich auf ihrem Gesicht erschienen, als wäre diese Geste, dieses Körperwissen, seit Generationen vererbt und daher fest im genetischen Programm verankert. Das Lächeln wechselte ins Bittere. »Für uns Serben das ist nichts Neues. Die sind immer sofort beleidigt.«

    Die.

    Danner notierte das in seinem Kopf. Die. Damit ließ sich keine Schlagzeile machen. Nicht »Die« brauchte er, sondern einen Aufhänger, eine alltägliche Geschichte, die auch der dümmste Schweizer aus seiner eigenen Lebenserfahrung nachvollziehen konnte. Ein Streit ums Geld etwa. »Tot wegen 20 Franken«. Oder ein Drama, weil das Mädchen mit der Mutter nach Mallorca wollte anstatt in die Türkei. Oder Musik. »Tot wegen Shakira.« Vielleicht Sport? »Mina spielte Fußball.«
    Das Kopftuch?
    Zu banal als Symbol, weil zu abgedroschen. Und sowieso, es gab doch durchaus Schweizer, die im Kopftuch kein Problem sahen, sondern eine kulturelle Bereicherung. In dieser Frage war das Land in beschämender Weise auseinandergebrochen. Wenn er das Kopftuch als Aufhänger nähme, würde nur die Hälfte seiner Leser in Wallung geraten. Klar traf er mit dem Tuch bei vielen den roten Knopf. Diese wären in ihrer Haltung zu den Muslimen zum wiederholten Male bestätigt. Vielleicht wären sie mittlerweile aber auch nur noch gelangweilt von dem Thema, schlössen die Augen einfach vor Ehrenmord und Schariaterror und dächten, diese Trommelei gehe schon irgendwie vorbei. Die andere Hälfte der Schweiz wiederum würde gar nicht mehr hinschauen, wäre absolut angewidert von einer solchen Blick-Story, die sie als weitere frei erfundene Geschichte betrachten würden, als plumpen Rassismus.
    Doch selbst wenn es beim Mina-Mord vordergründig ums Kopftuch ging, Rolf Danner wollte keine billigen Effekte. Der Zürcher war Blick-Journalist, immer unter Beobachtung der Kollegen, die sich für etwas Besseres hielten. Aber nicht nur deswegen hielt er sein Berufsethos hoch. Er wollte nichts erfinden, sondern nur die ganze Wahrheit hinter diesem einen Einzelschicksal aufdecken. Das Wegschauen der sogenannten Eliten und ihr Verdrängen von gewissen importierten Problemen

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