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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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man das Vlies des Innenfutters sehen konnte, verrieten das fortgeschrittene Alter der Hose. Während Nummer 1 stoisch wie ein Indianer dastand und auch Nummer 2 relativ gelassen war, interessierte sich diese Nummer 3 für seine Umgebung, betrachtete den verdächtigten Azoglu ohne Scham. Unbewusst rieb sich der kleinste der Männer in der Reihe dabei die Nasenwurzel. Als er losließ, erschienen für einen Augenblick weiße Abdrücke, wie sie vom Tragen einer schweren Brille herrühren, dann wurde die Stelle wieder rosafarben.
    Nummer 5 schließlich, der rechts neben Erin Azoglu stand, war ein Anatole – immerhin. Der Türke schätzte ihn auf 45 Jahre, aber da irrte er. Der Mann war jünger, hatte aber ein hartes Leben geführt, war überarbeitet, erschöpft, hatte strampeln müssen für einen mickrigen Lohn. Einst hatte er einen Imbiss besessen, den er zusammen mit seiner Frau 24 Stunden am Tag betrieben hatte. Die Frittenbude hatte an einer Durchfahrtsstraße gestanden, die dem neuen Novartis Campus zum Opfer gefallen war. Zwar war dem Mann als Ersatz ein Job in einem der Restaurants dieser Pharmafirma angeboten worden. Aber der Türke war stolz, wollte nicht für aus Japan importierte Sushiköche der Dummkopf sein. Er liebte seine Freiheit und fuhr daher jetzt einen kleinen Laster, immer auf der Suche nach einem Auftrag. Für Geld machte er alles – na ja, fast.
    Regazzoni trat vor die Gruppe. »Bitte halten Sie Ihre Nummern mit beiden Händen vor Ihre Brust.«
    Die fünf Figuren taten, wie ihnen geheißen.
    »Gut so. Nicht bewegen.«, befahl Regazzoni und ging zur Tür. Er öffnete sie einen Spalt und schob seinen Kopf heraus. »Seid ihr fertig«, hörten ihn die Figuranten fragen. Dann sahen sie, wie der Mann im Medizinerkittel die Tür öffnete.
    Herein kam eine wunderhübsche Frau, hinter ihr Kommissar Baumer.
    Die Frau war eine blonde, bezaubernde Schönheit voller Anmut. Sie trug ein leichtes Sommerkleid aus hellblauem Leinen. Ihre Beine waren lang und dünn und zugleich sportlich muskulös, grad so wie bei einer eleganten Weitspringerin. Die Haare trug sie offen, aber akkurat geschnitten. Die Lippen waren in der Kontur fein geschnitten wie bei einer Engländerin, aber doch voll wie bei einer Italienerin. Ihre Brust war genau so, wie sie Männer lieben. Erregend. Die elegante Frau trug auch jetzt im Seminarraum eine übergroße Sonnenbrille, ein Modell, das auch Danner hätte tragen können. Große dunkle Gläser, die den halben Kopf bedeckten und nicht erkennen ließen, wer sich dahinter verbarg.
    Der Kommissar stellte sich neben die stilvolle Schönheit. Als diese ihren Kopf fragend zu ihm drehte, sprach er sie an: »Bitte gehen Sie an den fünf Personen entlang. Nehmen Sie sich Zeit dazu.« Er streckte einen Arm in Richtung Nummer 1 aus, gab den Weg frei.
    Die Blondine trat die paar Schritte zur ersten Person in der Reihe hin, sah sie kurz an, spazierte sofort weiter. Bei den nächsten beiden Nummern sah sie ebenso nur schnell hin. Es war, als wäre die Frau beim gemütlichen Shopping. Von den angebotenen Waren schien sie nicht besonders beeindruckt.

    Bei Nummer 4 war dies anders.

    Bei Nummer 4 blieb sie stehen.

    Die Schönheit öffnete den Mund, war erstaunt, erschreckt irgendwie, als sie Azoglu betrachtete. Sie drehte sich eilig weg und machte einen Schritt zurück, hin zum Kommissar, der hinter ihr hergegangen war. Sie trat sehr nahe an ihn heran. Dann zog sie ihre Sonnenbrille herunter und flüsterte. »Muss ich es jetzt gleich sagen, wer es war?« Sie hatte das leise gesagt, und doch konnte Erin Azoglu in diesem leeren Raum das Gesagte glasklar verstehen.
    Baumer antwortete ihr nicht, denn sie drehte sich sogleich wieder zum Vater von Mina. Sie blickte ihn nun intensiv an, musterte ihn von oben bis unten. Sie nahm eine Hand vor den Mund.
    »Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte er schließlich. »Sie müssen nicht sofort sagen, wer der Mörder ist. Schauen Sie sich einfach nur alle Männer an.«
    Die Frau hatte ihren Blick von Nummer 4 nicht gelöst. Sie schaute ihn an, ihr Gesicht, ihre Stirn verhärteten sich. Rasch machte sie einen Schritt zur Seite, begutachtete die Nummer 5 gar nicht mehr, wollte nur noch schnell aus dem Raum.
    Kommissar Baumer begleitete sie hinaus, schloss hinter sich die Tür.
    »Was jetzt?«, fragte Azoglu.
    Niemand antwortete.
    »Was geschehen jetzt?«
    Keiner klärte den Türken auf.
    Der Kommissar kam wieder herein. Er lächelte wie ein Schuldirektor, der einen lange

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