In der Hitze der Stadt
durch.
»Sofort ausführen!«, brüllte er ins Telefon.
*
Vier Freunde hatten einen schweren Tag. Sie hatten ihre kümmerlichen Moneten zusammengekratzt und waren ins Casino gegangen. Völlig überzeugt davon, dass sie auch heute Glück haben würden, gingen sie ein großes Risiko ein. Bisher war immer alles gutgegangen. Sie hatten mehrmals schon gezockt, hatten sich dabei immer abgesprochen. Sie setzten ein bisschen Geld, heimsten den kleinen Gewinn ein. Mit der Zeit jedoch waren sie übermütig geworden. Heute hatten sie den großen Reibach machen wollen. Sie hatten sogar noch einen Gefreiten und einen Türken mit ins Boot geholt. All ihre Chips hatten sie auf die Nummer 4 gesetzt. Die Kugel hatte sich gedreht. Sie war gefallen. Die 4 war nicht gekommen.
Aus.
Ende der Spielsaison. Sowieso hatte keiner noch irgendwelches Geld übrig. Einzig Baumer blieb ein letzter, schäbiger Groschen im Sack. Es war der alte verurteilte Kinderschänder, der im Untersuchungsgefängnis die Wände anstarrte. Warum nicht mit ihm auch eine Gegenüberstellung inszenieren? Der würde wohl alles zugeben. Steiner kannte das Spiel. Er wüsste, dass man ihm die Tat locker andrehen könnte, wenn man wollte. Also würde er sie zugeben, um so bessere Haftbedingungen zu bekommen. Vielleicht wollte der ja sogar wieder in den Knast, sich ausruhen, sich versorgen lassen bis zum Lebensende. Das war sowieso nicht mehr weit. Den würde keiner vermissen.
Baumer konnte sich gegen diese mürben, diese schrecklichen Gedanken nicht wehren, weil er von der tropischen Hitze, die weiterhin keinerlei Anstalten machte, weiterzuziehen, weichgekocht war. Als er merkte, welche Gewalt er dem alten Mann antat, machte er sich sogleich Vorwürfe. Warum nur gingen ihm diese Hirngespinste, diese irren Einbildungen durch den Kopf? Steiner war harmlos. Der hatte doch kein Mädchen umgebracht. Oder etwa doch? Verbarg er ein düsteres Geheimnis? Ach, er wusste gar nichts mehr, wollte nach der verserbelten Gegenüberstellung im Gerichtsmedizinischen Institut nur noch nach Hause.
Als er durstig und matt dort ankam, stemmte er sich wie eine alte übergewichtige Prostituierte mit Arthrose in den Knien die Treppe hoch. Vor Anstrengung wurde ihm schwindlig. Die Stufen schienen plötzlich nicht mehr nach oben zu führen, sondern stürzten vor ihm in die Tiefe. Baumer hielt sich am Geländer fest, schloss die Augen. Zu viel Kaffee gesoffen, ging es ihm durch den Kopf.
In der Wohnung drehte er den Wasserhahn in der Küche auf, füllte eilig ein großes Glas, kippte das Basler Wasser gierig hinunter. Dann noch ein zweites. Er hustete schwer, weil er beim überhasteten Trinken einen Spritzer Wasser in die Luftröhre bekommen hatte. Schließlich kühlte er sich die Hände, die Handgelenke, benetzte die Arme. Rasch warf er seine Jeans ab, platschte Wasser auch auf seine mächtigen Oberschenkel, ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, als er ein Handballtorhüter und noch voll im Schuss war. Er fuhr über die vernarbte Fläche auf dem rechten Bein. Das war ein Andenken an einen früheren Einsatz, der grade noch gut ausgegangen war. Endlich beugte er sein Gesicht zum laufenden Wasser, warf mit den Händen das kühle Nass in sein Gesicht, hielt schließlich den ganzen Kopf darunter, rubbelte seine Haare. Triefend wie ein nasser Hund ging er auf seinen Mikrobalkon. Dicke Tropfen platschten von ihm auf den Boden.
Auf dem Balkon fiel er in seinen Stuhl und blieb so verkrümmt sitzen, wie er hineingefallen war. Der Balkonboden war in der sengenden Sonne brutal aufgeheizt. Zwar ging ein ganz kleines Lüftchen, aber die Luft brannte immer noch. Das Wasser, das von Baumer heruntertropfte, verdampfte sogleich auf dem heißen Stein. Tropische Feuchtigkeit stieg auf und bewirkte beim Kommissar sogleich einen Schweißausbruch.
Dann kam die SMS herein. Sie war von Daniel Schneider. Baumer hatte sofort bei ihm anzutraben.
Bei Heinzmann war es ähnlich. Der Wachtmeister war ebenfalls nach Hause gegangen, als sie sich ihren Flop beim Gerichtsmedizinischen Institut hatten eingestehen müssen. Irgendwie bleiben die Männer doch immer kleine Buben. Bei echter Not schreien sie nach ihrer Mutter. Weil Stefan Heinzmann aber keine Mutter mehr hatte, flüchtete er sich zum ersten Mal seit Wochen in sein eigenes Heim. Ein Heim, das er zu nichts anderem mehr als hin und wieder einmal zum Schlafen aufsuchte. Die 2-Zimmer-Wohnung, um die er sich seit Jahren nicht mehr kümmerte, sah entsprechend aus.
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