In der Hitze der Stadt
Der Basler Polizist schlief meist im eigenen Mercedes, oder in Baumers Büro. Diese Bleibe, in die er sich jetzt zurückzog, kam ihm mittlerweile fremd vor, ein schäbiger Unterschlupf für Verbrecher auf der Flucht. Stefan Heinzmann war in der Tat auf der Flucht. Er floh vor der Erkenntnis, dass er seinen Job verlieren würde.
Der suspendierte Wachtmeister stand in der offenen Tür und schaute hinein. War das überhaupt seine Wohnung? Müsste er hier in dieser verlorenen Bude die nächsten Tage und Wochen leben? Was sollte er noch tun mit seinem Leben? Woher Sinn bekommen? Er war Polizist mit Leib und Seele. Seine Heimat war die Straße. Er hatte nichts anderes, wollte nichts anderes. Nicht mehr Polizist sein zu können, war der Weltuntergang für ihn.
Trübe ließ er sich in einen Sessel der Polstergruppe – seiner Polstergruppe? – fallen. Staub fuhr auf, wirbelte ihn ein, er musste sofort niesen. Schlimmer kann es nicht kommen, dachte er. Doch gleich darauf begann er zu lächeln. Dann kann es jetzt ja nur wieder aufwärts gehen, redete er sich ein.
Ha ha ha, lachte er laut auf und schlug seine Pranke auf die Armlehne. Erneut wirbelte Staub auf. Erneut musste er niesen, während es ihn schüttelte vor Lachen. Ein letztes Mal niesend fuhr er sich ruppig durch die Haare, versuchte, den Staub herauszuschütteln. Kräftig schrubbte er sich die Stelle, wo sein Hut über all die Jahre eine regelrechte Delle in die Kopfhaut getrieben hatte.
Sein Handy piepste. Er schaute aufs Display. Auch er hatte eine SMS von Daniel Schneider bekommen. Super, dachte Heinzmann. Egal, warum mich Schneider sprechen will, alles ist besser, als hier zu vermodern.
Rolf Danner bekam keine SMS. Er hatte Glück gehabt. Der Anwalt hatte bei seinem Telefonat an den Kommandanten den Zürcher Boulevardjournalisten nicht mit Namen benannt. Schneider hatte daher nur eine Beschreibung eines Mitläufers, konnte sich aber nicht sicher sein, ob es dieser Danner war, der bei der fingierten Gegenüberstellung dabei gewesen war. Zwar war es wahrscheinlich, dass der Zürcher Boulevardreporter, ein bekannter Kollege von Baumer, bei der Aktion im Institut mitgemischt hatte, aber der Kommmandant der Kriminalpolizei war an diesem Journalisten nicht interessiert. Er hatte auch keinerlei Zugriff auf ihn als Vorgesetzten. Er hätte ihn zwar formell der Behinderung der Justiz anzeigen können, aber das wollte er doch lieber nicht. Sich nicht mit den Medien anlegen. Nie! Das war oberste Priorität für einen Politiker wie Schneider.
Meier kam auch davon. Kleine Fische lässt man laufen. Und für Daniel Schneider war der Gefreite ein kleiner Fisch. Markiert zwar, aber immer noch ein Winzling. Der Chef hatte keine Zeit und Lust, sich mit einem gemeinen Gefreiten herumzuschlagen. Er hatte ihn sowieso im Sack, denn irgendwann würde er ihn wissen lassen, dass er diese üble Geschichte jederzeit wieder hervorziehen könnte, falls der Gefreite nicht parierte und tat, was immer er von ihm wollte. Meier würde sich als treuer Hund erweisen oder er würde eiskalt abserviert werden.
Und Regazzoni?
Er war in seinem Büro und arbeitete wie verbissen. Immer etwas arbeiten, dann kann man alles gut vergessen. Sowieso gab es die ausgedruckten PCR-Resultate zu analysieren und neue Versuchsreihen zu planen. Wer weiß, vielleicht ergab sich ja doch noch irgendwo ein Hinweis auf einen Täter.
Als die SMS von Schneider bei ihm eintraf, schaute er kurz auf das Display, registrierte, dass sie vom Kommandanten der Kriminalpolizei kam. Die Nachricht war beeindruckend kurz. Sie lautete gleich wie bei Baumer und Heinzmann: » Zi. 101. Sofort!« Schneider wollte ihn also ohne Zeitverzug im Spiegelhof sehen. Regazzoni brauchte nicht nachzufragen, warum.
Der »Professor« legte sein Handy unbeeindruckt weg. Warum soll ich immer gleich springen, wenn mir einer einen Befehl gibt, dachte er. Immer wollen sie etwas von einem. Nie ruft einer an, um mich zu loben. Ach, ihr könnt mich mal. Ich habe wichtige Versuche zu machen. Meine Arbeit ist bedeutend. Wer macht die sonst, wenn es nur noch Politiker an der Uni gibt? Ich bin Wissenschaftler. Ja, Dozent zwar nur und kein Professor, sonst hättet ihr auch keinen Mumm, mir ans Bein zu pinkeln. Als Professor wäre ich unantastbar, da wären solche Baumer-Aktionen gar kein Problem. Könnte mir alle Schweinereien erlauben. Könnte Budgets manipulieren, als Autor von Publikationen auftreten, die ich selbst nicht einmal verstehe, und jeden
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