In der Nacht (German Edition)
und verschwand hinter dem Paravent.
»Jetzt hast du’s geschafft«, sagte sie, während er die Jalousie ein wenig anhob und auf die Straße hinausblickte.
»Pardon?«
»Du hast dir die Vormachtstellung auf dem Rummarkt gesichert. Du wirst ein König sein.«
»Ein Prinz vielleicht«, sagte er. »Aber da ist immer noch Albert White.«
»Und warum glaube ich, dass du schon einen Plan in der Hinterhand hast?«
Er steckte sich eine Zigarette an und lehnte sich an die Fensterbank. »Pläne sind bloß Träume, solange man sie nicht in die Tat umgesetzt hat.«
»Und? Hast du erreicht, was du wolltest?«
»Ja«, sagte er.
»Na, dann herzlichen Glückwunsch.«
Er sah zu ihr hinüber. Das völlig verdreckte Abendkleid hing über dem Paravent, und er konnte ihre nackten Schultern sehen. »Das klingt aber nicht so, als würdest du es auch so meinen.«
Sie bedeutete ihm, sich wieder umzudrehen. »Doch, ich meine es so. Du hast es durchgezogen, um dein Ziel zu erreichen. In gewisser Weise ist das schon bewundernswert.«
Er lachte trocken. »In gewisser Weise.«
»Aber wie willst du deine Macht erhalten, jetzt, wo du ganz oben bist? Ist doch eine interessante Frage, oder?«
»Meinst du, ich wäre nicht hart genug?« Abermals sah er zu ihr hinüber, und diesmal ließ sie ihn gewähren, weil sie sich mittlerweile eine weiße Bluse angezogen hatte.
»Ich weiß nicht, ob du rücksichtslos genug bist.« Ihre dunklen Augen schimmerten. »Und falls doch, wäre das ziemlich schade.«
»Wer Macht besitzt, muss nicht zwangsläufig ein brutales Schwein sein.«
»Die meisten sind es aber.« Ihr Kopf verschwand hinter dem Paravent, als sie in einen Rock stieg. »Nachdem ich heute gesehen habe, wie du einen Menschen erschossen hast, und du mir gerade beim Anziehen zugeschaut hast – darf ich dir eine persönliche Frage stellen?«
»Klar.«
»Wer ist sie?«
»Wer?«
Ihr Kopf tauchte wieder auf. »Das Mädchen, das du liebst.«
»Wer sagt denn, dass ich jemanden liebe?«
»Ich sage das.« Sie zuckte mit den Schultern. »Frauen kennen sich mit so etwas aus. Ist sie hier?«
Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Sie ist nicht mehr da.«
»Sie hat dich verlassen?«
»Sie ist tot.«
Graciela starrte ihn an, als wolle er sie auf den Arm nehmen. Als sie begriff, dass er es ernst meinte, sagte sie: »Das tut mir leid.«
Er wechselte das Thema. »Und? Zufrieden mit den Waffen?«
Sie stützte die Arme auf den oberen Rand des Paravents. »Sehr sogar. Wenn Machado eines Tages gestürzt wird – und der Tag kommt so sicher wie das Amen in der Kirche –, haben wir ein ganzes…« Sie schnippte mit den Fingern und sah ihn an. »Wie heißt das noch mal?«
»Ein Arsenal«, sagte er.
»Ja, genau.«
»Das sind also nicht eure einzigen Waffen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht die ersten und auch nicht die letzten. Wenn der Tag kommt, sind wir bereit.« Sie trat hinter dem Paravent hervor, trug nun eine weiße Bluse und einen braunen Rock, die typische Kleidung einer Zigarrenrollerin. »Du hältst mich für töricht, nicht wahr?«
»Ganz im Gegenteil. Eher für idealistisch. Ich habe einfach andere Dinge im Blick.«
»Und was?«
»Rum.«
»Wärst du nicht gern selbst ein Idealist?« Sie hielt Daumen und Zeigefinger ganz nah zusammen. »Wenigstens ein kleines bisschen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts gegen Idealisten. Mir ist bloß aufgefallen, dass die meisten keine vierzig werden.«
»Gangster ebenso wenig.«
»Stimmt«, sagte er. »Aber wir essen in besseren Restaurants.«
Sie ging an den Schrank, nahm ein paar flache weiße Schuhe heraus und setzte sich auf das Bett, um sie anzuziehen.
Er verharrte am Fenster. »Okay, sagen wir, eines Tages findet eure Revolution statt.«
»Und?«
»Wird sich dadurch etwas ändern?«
Sie zog den einen Schuh an. »Menschen können sich ändern.«
Wiederum schüttelte er den Kopf. »Die Welt kann sich verändern, aber der Mensch bleibt immer gleich. Selbst wenn es euch gelingt, Machado zu stürzen, ist es immer noch ziemlich wahrscheinlich, dass ihr vom Regen in die Traufe kommt. Außerdem könnte dir selbst alles Mögliche zustoßen, bevor ihr euer Ziel überhaupt…«
»Ich könnte sterben.« Sie beugte sich vor, um den anderen Schuh überzustreifen. »Ich könnte sterben, weil mich ein Kamerad für Geld ans Messer liefert. Ich könnte in die Fänge von kaputten Typen geraten, Männern, die womöglich noch schlimmer sind als der Kerl, der heute hinter mir her war, und
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