Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
anführten, dass gewisse Minderheiten einfach nicht das »Zeug« zum Astronauten hätten. Er war bemüht, seine Würde zu bewahren und, so schwer es ihm auch fiel, nicht in völlige Verzweiflung zu verfallen.
    Dann war die Wahrheit ans Licht gekommen. Der Satellit war fehlerhaft gewesen. Luther Arnes war öffentlich von jeglicher Schuld freigesprochen worden. Schon eine Woche darauf hatte Gordon Obie ihm einen Einsatz zugeteilt: eine viermonatige Mission an Bord der ISS.
    Aber den Schaden, der seinem Ansehen zugefügt worden war, konnte Luther so schnell nicht vergessen. Er wusste aus eigener schmerzlicher Erfahrung, was Emma im Augenblick durchmachte.
    Jetzt hielt er sein Gesicht so dicht vor das ihre, dass sie gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. »Du bist nicht perfekt, okay? Wir sind alle nur Menschen.« Er machte eine Pause und fügte dann trocken hinzu: »Vielleicht mit Ausnahme von Diana Estes.«
    Gegen ihren Willen musste sie lachen.
    »Bestrafung abgeschlossen. Das Leben geht weiter, Watson!«
    Ihr Atem ging wieder normal, wenn auch ihr Herz weiter heftig pochte, weil sie immer noch wütend auf sich selbst war. Aber Luther hatte Recht, das Leben ging weiter, und sie musste sich mit den Folgen ihrer Fehlentscheidungen auseinander setzen. Ein abschließender Bericht für Houston war fällig: medizinisches Gutachten, Krankheitsverlauf, Diagnose, Todesursache.
    Ärztliches Versagen.
    »Die
Discovery
dockt in zwei Stunden an«, sagte Luther. »Du hast noch viel zu tun.«
    Nach einer Weile nickte sie und begann sich loszuschnallen. Zeit, sich wieder an die Arbeit zu machen. Der Leichenwagen war unterwegs.

7. August
    Festgebunden und versiegelt in seinem Leichentuch aus Plastik drehte sich der Tote langsam im Dämmerlicht. Inmitten des Durcheinanders aus überzähligen Ausrüstungsgegenständen und Ersatzkanistern mit Lithium wirkte Kenichis Leiche wie irgendein nicht mehr benötigtes Teil, das zusammen mit dem anderen Kram in der alten
Sojus
-Kapsel verstaut worden war. Die
Sojus
war seit über einem Jahr außer Betrieb, und die Crew nutzte das Versorgungsabteil als zusätzlichen Stauraum. Es schien schrecklich würdelos, Kenichi hier unterzubringen, doch die Crew war durch seinen Tod sehr mitgenommen. Immer wieder mit der Leiche konfrontiert zu werden, die in einem der Module herumschwebte, wo sie leben und arbeiten mussten, wäre zu schlimm für sie gewesen.
    Emma wandte sich an Commander Kittredge und Sanitätsoffizier O’Leary, die mit der
Discovery
gekommen waren. »Ich habe die Überreste sofort nach dem Tod versiegelt«, sagte sie.
    »Seither hat niemand sie angerührt.« Sie brach ab, und ihr Blick fiel wieder auf die Leiche. Der Sack war schwarz, und die Plastikfolie bauschte sich und schlug Falten, sodass von der menschlichen Gestalt im Inneren kaum etwas zu erkennen war.
    »Die Schläuche sind noch drin?«, fragte O’Leary »Ja. Zwei IV-Zugänge, der Endotrachealtubus und die Magensonde.« Sie hatte nichts verändert; sie wusste, dass die Pathologen, die die Autopsie durchführten, alles an Ort und Stelle belassen haben wollten. »Ihr habt alle Blutkulturen und alle Gewebeproben, die wir ihm entnommen haben. Alles.«
    Kittredge nickte ernst. »Also los dann.«
    Emma löste den Sicherungshaken und griff nach der Leiche. Sie fühlte sich steif und aufgequollen an, als ob das Gewebe bereits von anaerober Zersetzung befallen sei. Sie wollte gar nicht darüber nachdenken, wie Kenichi unter der dunklen Plastikschicht inzwischen aussah.
    Es war eine schweigsame Prozession, die da durch die Raumstation zog, düster wie ein Leichenzug, mit Trauergästen, die, selbst wie Geister schwebend, den Toten durch den langen Tunnel aus Modulen eskortierten. Kittredge und O’Leary bildeten die Spitze; behutsam steuerten sie die Leiche durch die Luken. Jill Hewitt und Andy Mercer folgten ihnen. Niemand sprach ein Wort. Als der Raumtransporter anderthalb Tage zuvor angedockt hatte, waren Kittredge und seine Crew mit Lächeln und Umarmungen, mit frischen Äpfeln und Zitronen und mit einer heiß ersehnten Ausgabe der
New York Times
vom Sonntag in die Station eingefallen. Dies war Emmas altes Team; die Leute, mit denen sie ein Jahr lang trainiert hatte, und sie wiederzusehen hatte etwas von einem bittersüßen Familientreffen. Jetzt war die Wiedersehensfeier vorüber, und der letzte Gegenstand, der an Bord der
Discovery
geschafft werden musste, war auf seiner gespenstischen Reise in Richtung Andockmodul.
    Kittredge und

Weitere Kostenlose Bücher