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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Zigarettenkippe weg.
    »Was ist passiert?«
    »Ich wartete, bis Compton nahe genug war«, sagte Baedecker. »Zuerst nahm ich das Fliegengitter am Schlafzimmerfenster meiner Mom ab und wartete, daß er die Straße überqueren würde. Er konnte mich hinter den Spitzenvorhängen nicht sehen. Ich lud beide Läufe, überlegte mir aber, daß ich den Vierzehner benützen würde. Dachte mir, damit könnte ich auf zehn Meter nicht daneben schießen. So nahe war er.«
    »Auf die Entfernung würde eine Vierzehner einem ein hübsches Muster verpassen«, sagte Foster.
    »Ich hatte sie mit Sechser Wachtelmunition geladen«, sagte Baedecker.
    »Herrgott.«
    »Ja. Ich wollte, daß Comptons Eingeweide auf den Boden quellen würden wie die des Kaninchens, das mein Vater ein paar Wochen zuvor mit sechser Munition geschossen hatte.
    Ich kann mich noch gut erinnern, wie ruhig ich den Lauf entlang auf Comptons Gesicht gezielt hatte. Ich senkte das Korn auf seinen Gürtel, weil ich immer etwas zu hoch und nach links hielt. Ich weiß noch, ich suchte Gründe, weshalb ich das Arschloch leben lassen sollte. Mir fielen ehrlich keine ein. Ich drückte ab, wie mein Vater es mir beigebracht hatte hielt den Atem an, verkrampfte mich aber nicht, drückte ganz langsam und sanft, statt ruckartig. Ich habe es vermasselt. Die verdammte Sicherung war drinnen. Ich löste sie und befreite den vierzehner Schlagbolzen, und dann mußte ich neu zielen, weil der Drecksack ein paar Schritte gegangen war. Er blieb stehen und sagte etwas zu einem Nachbarsmädchen, das Seilhüpfen spielte, und ich zielte auf seinen verlängerten Rücken. Er stand nur sieben oder acht Schritte entfernt.«
    »Was dann?« fragte Foster. Er zündete sich eine neue Zigarette an.
    »Dann hat meine Mutter mich zum Essen gerufen«, sagte Baedecker. »Ich entlud beide Läufe und stellte die Waffe weg. Die nächsten paar Wochen ging ich Compton, so gut ich konnte, aus dem Weg. Nach einer Weile hatte er es satt, mich zu schlagen. Nächsten Mai sind wir dann weggezogen.«
    »Hm«, sagte Foster und trank einen großen Schluck Bier. »Chuck Compton war immer ein Arschloch.«
    »Was ist eigentlich aus ihm geworden?« fragte Baedekker und stellte sein Bier vorsichtig auf den Boden. Er hob die 22er und zielte in die Schlucht hinunter.
    »Er hat Sharon Cahill aus Princeville geheiratet«, sagte Foster. »Wurde wiedergeboren. War eine Zeitlang richtig religiös. Er arbeitete 1966 für den Straßenbau, als er von seinem Mähtraktor fiel und von seinem eigenen Mäher überfahren wurde. Hat noch eine Woche gelebt, dann hat ihn eine Lungenentzündung erwischt.«
    »Hmmm«, sagte Baedecker und drückte ab. Ein wuselnder Schatten wurde zur Seite geschleudert und fiepste unter Schmerzen. Baedecker nahm die Flinte wieder in Schräglage und lud dreimal durch, um sich zu vergewissern, daß die Kammern leer waren.
    Er gab sie weiter. »Ich muß zurück«, sagte er. »Ich muß um acht eine Rede halten.«
    »Scheißspiel«, sagte Carl Foster und gab Galen das Gewehr.
     
    »Sind Sie sicher, daß Sie keinen Kaffee möchten?« fragte Bill Ackroyd nervös.
    »Ganz sicher«, sagte Baedecker. Er stand vor dem Dielenspiegel in Ackroyds Haus und versuchte zum zweiten Mal, die Krawatte zu binden. »Wie wäre es mit etwas zu essen?«
    »Habe gut gefrühstückt«, sagte Baedecker. »Zweimal.«
    »Jackie kann Ihnen etwas von dem Roastbeef wärmen.«
    »Keine Zeit«, sagte Baedecker. »Es ist fast acht.« Sie eilten zur Tür hinaus. Die Dämmerung überzog die Maisfelder und Ackroyds RV mit einem Maxfield ParishLeuchten. Ackroyd setzte mit dem Bonneville zurück, dann brausten sie die Straße entlang.
    Das Gelände des Old Settlers-Jahrmarkts wurde von Lichtern erhellt. Die Leinwand des großen Zelts verströmte Licht, gelbe Glühbirnen waren zwischen den Spielbuden aufgehängt, die Softballfelder waren in gleißenden Schein gebadet, und die Karussells wurden von bunten Lampions gekränzt. Baedecker erinnerte sich plötzlich an eine Nacht im August, als Jimmy Haines bei ihm geschlafen hatte. Das war die Nacht vor Old Settlers gewesen. Irgendwann nach Mitternacht waren die beiden Jungs aufgewacht, als hätten sie einen geflüsterten Befehl befolgt, hatten sich lautlos angezogen, waren über den Drahtzaun am hinteren Ende des Geländes geklettert und durch das hohe Gras der Wiesen hinter der High School gestapft, bis sie nahe genug waren, daß sie die leisen Flüche und Anweisungen der Arbeiter hören konnten, die die

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