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In der Stille der Nacht - Thriller

In der Stille der Nacht - Thriller

Titel: In der Stille der Nacht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
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liebsten im Zimmer bei dem sauberen kleinen Mann.

    Nach außen hin bewahrte Aamir Haltung: Er saß alleine, still, die Hände sorgsam im Schoss gefaltet, ebenso gesittet wie unter den Blicken seiner Kidnapper. Er bewegte sich nicht, weil er sich nicht bewegen konnte, seine Muskeln waren starr, seine Kehle fühlte sich an wie von einem Fausthieb getroffen, als würde ein Schrei seinen Adamsapfel strangulieren. Er wusste nicht, ob er überhaupt in der Lage war, sich ohne entsprechenden Befehl zu bewegen.
    Seine motorischen Fähigkeiten prüfend, tippte er mit einem Finger und stellte fest, dass er leicht zitterte, sich aber rühren konnte. Er holte Luft und öffnete die Augen. Durch den Kissenbezug, erkannte er links etwas Licht, vielleicht ein Fenster auf Hüfthöhe. Sie waren zwei Stunden gefahren, vielleicht anderthalb, zog man seine Angst ab, die die Zeit länger werden ließ. In zwei Stunden konnten sie von Glasgow nach Dundee, nach Edinburgh und in die Städte im Osten gefahren sein, vielleicht nach Perth, mit Sicherheit bis Stirling. Durch die lange Arbeit im Laden, hatte er ein gutes Zeitgefühl.
    Er tippte wieder mit dem Finger und sah plötzlich vor sich, wie Aleeshas Hand zertrümmert wurde, ihre Finger gegen die Wand hinter ihr schlugen, die neue Madinah-Uhr, sie und die brutale rote Spur, die sich über Aleeshas Unterarm zog. Und dann sah er sich selbst, wie er sie anflehte, mit dem Kopf wackelte wie ein Clown, gebrochen Englisch sprach, obwohl er es doch fließend beherrschte: Bitte Sir, ich
sein guter Junge, lassen mich gehen, lassen mich gehen, britisch Pass, sorry, sorry.
    Der rote Staub der Straße von Kampala verschloss ihm die Kehle. Noch einmal sah er die arrogant auf und ab stolzierenden Soldaten, Gewehre hingen ihnen über den breiten Schultern, ihr Grinsen, ihre schwarzen Gesichtszüge wurden vom Weiß ihrer Zähne überstrahlt. Und hinter dem Mann, Aamirs Mutter. Sie taumelte hinter einem Armeefahrzeug hervor, weinte nicht, sah nicht, wohin sie trat, sondern ließ sich einfach fallen und fing sich mit einem Fuß ab, dann mit dem anderen, ihre Augen waren leer, der Mund schlaff. Sie umklammerte den Saum ihres gelben Saris, hielt ihn hoch, so dass er nicht schmutzig wurde vom Dreck und vom Staub. Als sie wieder saß, sog sich der Stoff mit feuchtem, roten Blut voll, der Fleck erblühte zu einer riesigen Blume, deren Wachsen Aamir durch das schmutzige Fenster des Taxis beobachtete. Aamir und seine Mutter besaßen britische Pässe. Das gab den Soldaten das Recht, ihnen anzutun, was sie wollten.
    Aamir überlebte. Das war sein Talent. Er holte Luft. Ihnen gelang die Flucht auf Kosten der Ehre seiner Mutter und sie sprach nie wieder darüber. Den Rest ihres Lebens in Schottland, hatte Aamir sie bemitleidet und verachtet, weil sie es zugelassen hatte, und seine Freiheit mit ihrer Ehre bezahlt hatte. Jetzt war er an der Reihe. Sie hatte gewusst, dass er sie danach nie wieder berühren würde. In der Dunkelheit streckte er die Hand auf dem heißen Kunstlederpolster des Taxirücksitzes aus und nahm die Hand seiner vor langer Zeit gestorbenen Mutter. In dem schmutzigen Zimmer, auf dem verpissten Bett, hob er ihre Hand an seinen Mund und küsste ihre Finger.

    Pat trat ins Wohnzimmer und stellte fest, dass Eddy weg war. Shugie schnarchte, legte die Stirn in Falten und protestierte unbewusst gegen die Pisse, die auf seiner Haut juckte. Aus der Küche drang das entfernte Geräusch eines klingelnden Telefons.
    Eddy stand in der Dunkelheit neben der Spüle, das Display seines Telefons warf bläuliches Licht auf sein Gesicht. Er weitete die Nasenflügel, als Pat hereinkam und zeigte ihm, dass er genervt war. Am anderen Ende der Leitung wurde der Anruf mit unheilvoller Stille beantwortet.
    »Äh, hallo«, sagte Eddy, nervös aber hoffnungsvoll. »Hey, ich bin’s.«
    Im Haus war es so ruhig, dass Pat die Antwort hörte: »Alles erledigt?« Der erstickte Belfaster Akzent drang kristallklar durch die Stille der Küche.
    »Erledigt«, sagte Eddy und versuchte, professionell zu klingen. »Wir haben einen. Einen alten.«
    Pause. »Alt?«
    »Nicht die Zielperson. Einen anderen, einen alten.«
    Eine weitere Pause. Keine freundliche. »Warum nicht die Zielperson?«
    »Äh, die war nicht da.«
    »Nicht da?«
    Eddy schwitzte jetzt, sah Pat hilfesuchend an. »Äh, nein. Aber wir haben einen alten.«
    »Wie alt?«
    »Äh, Mitte sechzig?«
    Ein wütendes Stöhnen flatterte durch den Hörer. »Du hast gesagt, du kriegst das

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