In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
jedes von ihnen alles Mögliche sein mochte, aber keines unsicher war. Und Missy hat sie in höchstem Maße – diese Taylorsche Art, ungerührt Raum in Beschlag zu nehmen. Es hat nicht so sehr mit Stolz zu tun als mit schlichtem, gewöhnlichem Selbstbewusstsein, das nur dadurch zu etwas Außergewöhnlichem wird, weil es in der breiten Bevölkerung so rar gesät ist. Schau ihn dir an, wie er die Landschaft betrachtet, ein dickes, schweres Buch auf dem Schoß, nicht reserviert, sondern so ruhig wie ein Prinz, der das Recht hat, da zu sein, wo immer er ist, und falls jemand dafür zuständig sein sollte, für Amüsement und Ablenkung zu sorgen, dann er eindeutig nicht.
Peter sagt: »Kaum zu glauben, dass wir nur eine halbe Stunde vom Cheever-Land entfernt sind.«
Missy sagt: »Das muss der Zug sein, mit dem er nach New York gefahren ist.«
»Vermutlich. Bist du Cheever-Fan?«
»Mm.«
Das dürfte ein Ja sein, und offenbar gibt es zu dem Thema nicht viel mehr zu sagen. Missy betrachtet weiter die vorbeiziehende Verwüstung, und Peter fragt sich, ob er nicht nur in den Anblick vertieft ist, sondern ihm auch sein Profil mit der energischen Kinnlade und der Römernase zeigen will. Er ist, was, drei Jahre älter als Bea? Es könnten genauso gut dreißig sein.
Ach, Bea, du verlorenes Mädchen, nichts als Feindseligkeit und abgekaute Nägel, in diesen weiten, billigen peruanischen Pullover gehüllt, der gut für das Überleben in deinem vermutlich kaum geheizten Apartment ist – sowohl du als auch ich wissen, dass du mich teilweise deswegen hasst, weil du meinst, ich hätte dir zu verstehen gegeben, dass du nicht schön genug bist.Wir haben es niemandem erzählt, bestimmt nicht einander, aber wir beide wissen es, nicht wahr? Ich habe mein Bestes getan, aber ja, ich habe über die gelbe Strumpfhose, die du geliebt hast, als du vier warst, die Stirn gerunzelt, und mich hat wegen der weiß-goldenen Schlafzimmergarnitur gefröstelt, die du mit sieben wolltest, und ja, es stimmt, ich fand die jugendstilmäßige silberne Kette nicht gut, die du dir von deinem eigenen Geld bei einer Kunsthandwerksmesse gekauft hast, deine erste selbstständige Anschaffung. Ich habe mich abgewandt von dem, was du geliebt hast, und auch wenn ich nie irgendetwas gesagt habe – ich wollte kein Monster sein, wirklich nicht -, hatten wir diese Telepathie, und du hast immer Bescheid gewusst. Und später, als du um die Hüften herum breiter geworden bist und deine Akne aufgeblüht ist, und ich schwöre, ich schwöre , dass ich dich wegen deiner pubertären Ungelenkigkeit nicht weniger geliebt habe, aber da war es schon zu spät, nicht wahr, ich hatte einen Ruf, und es gab nichts, was ich tun konnte, keine Aufmerksamkeit, die ich zollen konnte, keine Liebesbeteuerung, die überzeugend gewesen wäre. Wenn ich schon die pissefarbene Strumpfhose und das weiße Prinzessinnenhimmelbett gehasst habe, wie konnte ich da das Mädchen selbst lieben, dachtest du, jetzt, da sich ihre Haare kräuselten und ihr Körper plötzlich einen bis zur Pubertät schlummernden DNA-Strang aktivierte ( meinen , Bea, es ist nicht deine Mutter, die von Melkerinnen und Holzfällern abstammt), der mit schrecklicher, fleischlicher Endgültigkeit besagt: solide, erdverbunden, große, frauenhafte Brüste und ein gebärfreudiges Becken, weit vor deinem vierzehnten Geburtstag. Deine Eltern sind schlank und attraktiv, und du bist es aufgrund eines genetischen Streiches nicht.
Ich habe dir das Gefühl gegeben, dass du hässlich bist. Es ist für dich schrecklich, mit mir auch nur zu telefonieren.
»Wie gefällt dir Thomas Mann?«, fragt Peter Missy. Als ein Harris kann er zu viel Stille nicht ertragen. Er scheint zu glauben, dass er in ihr verschwinden wird.
»Ich liebe ihn. Na ja, ›lieben‹ ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort für Mann. Ich bewundere ihn.«
»Liest du den Zauberberg zum ersten Mal?«
»Ja und nein. Es gibt all diese Bücher, die ich auf dem College in fünf Stunden gelesen habe, bloß um auf dem Laufenden zu bleiben. Jetzt komme ich darauf zurück und lese sie richtig.«
Peter sagt: »Ohne Kaffee und Speed hätte ich niemals einen Abschluss geschafft.«
Und jetzt wendet sich Missy endlich vom Fenster ab und schaut Peter an. Sowohl Peter als auch Missy fragen sich insgeheim: Warum sollte Peter so etwas sagen? Bekräftigt er noch einmal sein Gelöbnis, Missys Geheimnis zu wahren?Versucht er bloß, cool zu sein?
Denk an den alten Mann mit Rouge und
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