In einer anderen Welt (German Edition)
hervorspähten, sah er nicht.
»Sie mögen Orte, wo früher Menschen gelebt haben, die aber von ihnen verlassen wurden«, sagte ich. »Ruinen, in denen Gras und Büsche wachsen. Gibt es so etwas hier in der Nähe?«
»Komm mit.« Wir stapften bergab durch Matsch und über nasses Laub. Die Sonne schien, aber es war trotzdem kalt und feucht, und der Wind war eisig.
Schließlich stießen wir auf eine etwa schulterhohe Steinmauer, die von Efeu überwuchert war, und als wir ihr ein Stück folgten, gelangten wir an eine Ecke, als wäre hier früher ein Haus gewesen, und drinnen, wo es etwas geschützt war, lugten Schneeglöckchen aus den modrigen Blättern. Wir machten einen Bogen um eine große Pfütze und setzten uns auf eine halbhohe Mauer. Da sah ich die Fee, der ich vor Janines Haus begegnet war und die an einen Hund mit durchscheinenden Flügeln erinnerte. Eine ganze Weile wartete ich schweigend. Auch Wim sagte nichts. Nach und nach tauchten weitere Feen auf – an einem Ort wie diesem war das kein Wunder. Eine von ihnen war schlank und wunderschön und weiblich, eine andere verhutzelt und gedrungen.
»Halt den Stein gut fest und schau zu den Blumen hinüber und zum Spiegelbild der Blumen im Wasser«, sagte ich leise, obwohl es keine Rolle spielte, wie laut ich sprach. »Jetzt schau mich an.« Ich legte ihm meine Hände auf die Wangen und versuchte, ihm Selbstvertrauen zu geben. Er wollte unbedingt daran glauben und eine Fee sehen. Seine Haut war warm und ein wenig rau, wo er nicht ganz glattrasiert war. Als ich ihn berührte, stockte mir endgültig der Atem.
»Er möchte euch sehen«, sagte ich auf Walisisch zu den Feen. »Er tut euch nichts.«
Sie gaben mir keine Antwort, verschwanden aber auch nicht.
»Jetzt schau nach links«, sagte ich zu Wim und ließ ihn los.
Langsam drehte er den Kopf, und da sah er sie, ganz bestimmt. Er zuckte zusammen. Sie musterte ihn neugierig. Kurz fragte ich mich, ob sie ihn verzaubern und mit sich fortführen würde, wie Tam Lin. Er streckte die Hand nach ihr aus, und sie verschwand, sie verschwanden alle, als hätte jemand das Licht ausgeschaltet.
»Das war eine Elfe?«, fragte er.
»Ja.«
»Wenn du das nicht gesagt hättest, hätte ich gedacht, das wäre ein Gespenst.« Er klang erschüttert. Ich hätte ihn gerne wieder berührt.
»Sie sehen nicht alle wie Menschen aus«, sagte ich, was stark untertrieben war. »Die meisten wirken ziemlich knorrig.«
»Wie Gnome?«, fragte er.
»Ja, mehr oder minder. Aber du musst verstehen – etwas in Büchern zu lesen und etwas zu sehen, ist nicht das Gleiche. Wenn man darüber liest, leuchtet alles viel mehr ein, mit den guten und den bösen Feen, mit Gnomen und Elfen, aber so ist es nicht. Ich sehe sie schon mein ganzes Leben lang, und sie sind alle gleich, was auch immer sie sind und wie sie auch aussehen. Ich weiß auch nicht genau, was sie sind. Sie sprechen, jedenfalls die, die ich kenne, aber sie sagen seltsame Dinge, und auch nur auf Walisisch. Normalerweise. An Weihnachten habe ich eine getroffen, die englisch sprach. Sie hat mir diesen Stock geschenkt.« Ich stocherte damit im Matsch herum. »Sie nennen sich nicht Elfen oder so etwas. Sie haben keine Namen. Und sie gebrauchen kaum Substantive.« Es tat so gut, mit jemandem über all das reden zu können! »Ich nenne sie ›Feen‹, weil ich das schon immer getan habe, aber eigentlich weiß ich nicht, was sie sind.«
»Also weißt du fast gar nichts über sie?«
»Nein. Jedenfalls nicht so, wie du denkst. Ich glaube, dass die Leute im Laufe der Zeit viele Geschichten über sie erzählt haben, und manche sind wahr, und manche sind erfunden, und dann bringen sie sie wieder mit anderen Geschichten durcheinander. Sie selbst erzählen keine Geschichten.«
»Aber wenn du nichts Genaues weißt, könnten sie auch Gespenster sein, oder?«
»Die Toten sind anders«, sagte ich.
»Das weißt du? Hast du welche gesehen?« Seine Augen waren riesengroß geworden.
Also erzählte ich ihm von Halloween und von dem Eichenlaub und den Toten, die in den Hügel hineingegangen waren, und dann musste ich ihm auch von Mor erzählen. Inzwischen war mir schon ziemlich kalt. »Wie ist sie denn gestorben?«, fragte er.
»Ich friere«, sagte ich. »Können wir wieder in den Ort gehen und noch etwas Heißes trinken?«
»Bekomme ich heute keine Elfen mehr zu sehen?«
Ich konnte nicht begreifen, warum er jetzt keine sah. »Schau doch, dort, neben der Pfütze«, sagte ich.
Wieder drehte er ganz
Weitere Kostenlose Bücher