In einer anderen Welt (German Edition)
eineiig gewesen sein, aber letztlich waren wir zwei verschiedene Menschen.
»Mein Opa hatte einen Schlaganfall«, sagte ich, denn so unerträglich das auch war, war es doch noch erträglicher als alles andere, was ich hätte sagen können. »Ich habe ihn gefunden. Als hätte ihn der Blitz getroffen. Ich weiß nicht, ob sie dahintersteckte.«
Ich probierte meinen Kaffee. Er war grässlich, sogar noch grässlicher als löslicher Kaffee, sofern das möglich ist. Andererseits konnte ich mir auch vorstellen, mich an ihn zu gewöhnen, wenn ich mir nur entsprechend Mühe gab. Keine Ahnung, ob es die Anstrengung wert wäre, schließlich ist Kaffee ja auch nicht eben gesund.
»Und was willst du jetzt gegen sie unternehmen?«, fragte Wim.
»Ich glaube nicht, dass ich irgendwas unternehmen muss. Wir haben sie aufgehalten. Halloween war ihre letzte Chance.«
»Nicht, wenn deine Schwester nicht in den Hügel gegangen ist, wie sie es hätte tun sollen. Nicht, wenn sie noch dort ist. Das könnte sie ausnutzen. Du musst etwas tun, um sie aufzuhalten. Du musst sie töten.«
»Ich glaube, das wäre verkehrt«, sagte ich. Die anderen Mädchen aus der Schule standen auf, also fuhr bestimmt bald der Bus.
»Ich weiß, dass sie deine Mutter ist ...«
»Das hat damit nichts zu tun. Niemand könnte sie mehr hassen als ich. Aber sie zu töten, wäre einfach verkehrt. Es fühlt sich falsch an. Ich könnte mit den Feen darüber reden, aber wenn es der richtige Schritt wäre, hätten sie mir längst dazu geraten. Du machst dir eine falsche Vorstellung davon – für dich ist das nur eine Geschichte.«
»Das ist alles so verdammt merkwürdig«, sagte er.
»Ich muss los, sonst verpasse ich den Bus.« Ich stand auf und ließ meinen restlichen Kaffee stehen.
Er kippte den Inhalt seiner Tasse hinunter. »Wann sehen wir uns wieder?«
»Am Dienstag, wie immer. Beim Zelazny-Treffen.« Ich lächelte. Ich freute mich wirklich darauf.
»Ja, klar, aber nur du alleine?«
»Nächsten Samstag.« Ich schlüpfte in meine Jacke. »Eine andere Gelegenheit gibt es nicht.«
Wir schlängelten uns zwischen den Tischen hindurch. »Lassen sie euch denn sonst nie raus?«
»Nein. So gut wie nie.«
»Das ist ja wie im Gefängnis.«
»Ein bisschen schon.« Wir schlenderten zur Bushaltestelle. »Na ja, dann bis Dienstag«, sagte ich, als wir dort ankamen. Der Bus war bereits da, und die Mädchen strömten hinein. Und dann – nein, dafür muss ich eine neue Zeile anfangen.
Und dann küsste er mich.
Dienstag, 5. Februar 1980
Ich bin erst heute damit fertig geworden, alles aufzuschreiben, was am Samstag passiert ist.
Ich bin mir nicht sicher, ob mir Die Zahl des Tiers gefällt. Vieles daran ist toll, aber die Handlung ist völlig zerfasert, und die Schauplätze sind es auch. Oz und die Lensmen -Serie habe ich nie gelesen, und ich weiß nicht genau, was sie hier verloren haben.
Davon abgesehen herrscht allgemeine Aufregung, denn sämtliche Mädchen, die im Bus saßen, fragen mich unablässig nach »meinem Liebsten«, wo ich ihn kennengelernt habe, wie er so ist, was er tut, und so weiter und so fort. Ein paar von denjenigen, die im Café waren, kennen seinen Ruf und haben mich vor ihm gewarnt – siebzehn Jahre alt und hatte Sex mit seiner Freundin, wie entsetzlich! Was für eine seltsame Mischung aus Sittenstrenge und Lüsternheit. Die Mädchen, die einen Freund aus der Gegend hier haben, behaupten, es sei nichts Ernstes, und manche von ihnen haben zu Hause einen »festen Freund«. Darunter verstehen sie das Gleiche wie Jane Austen unter einer »guten Partie«, ein Junge aus derselben Schicht, den sie vielleicht heiraten. Mit den hiesigen Jungs spielen sie nur herum, und die meisten von denen wissen das. Das ist ekelhaft, sie sind ekelhaft, die ganze Sache ist ekelhaft, und über Wim möchte ich gar nicht im selben Atemzug nachdenken.
Der eigentliche Unterschied ist, dass wir keiner unterschiedlichen Schicht angehören. Wim und ich können uns beide Hoffnungen darauf machen, einmal auf die Universität zu gehen. Ich weiß nicht, was sein Vater macht, aber dass seine Mutter in der Krankenhausküche arbeitet, während ich hier zur Schule gehe, ist unerheblich. Na ja, vielleicht nicht unerheblich, aber nicht von entscheidender Bedeutung. Außerdem weiß ich sowieso nicht genau, ob Wim mein »Liebster« ist, und wenn er es ist, hat es nichts mit dem zu tun, worüber die anderen Mädchen unablässig reden, von wegen fester Freund und nicht so fester Freund.
Weitere Kostenlose Bücher