In einer anderen Welt (German Edition)
im Zug.
Na schön, habe ich eben ein paar Bücher zurückgelassen. Ich weiß, dass ich sie vor Weihnachten nicht holen kann, aber langsam werden es wirklich viele, und die, die ich hier lasse, will ich auch nicht so bald noch mal lesen. In der Schule ist nur wenig Platz. Und selbst wenn ich sie vermisse, bin ich doch froh, dass sie hier sind. Wenn Opa wieder so gesund ist, dass er nach Hause kann, kann ich auch nach Hause gehen. Daniel ist das mehr oder minder egal, er hat bestimmt nichts dagegen. Ich habe das Gefühl, nirgendwo wirklich zu Hause zu sein, und das ist schrecklich. Die Vorstellung, dass auf dem Fensterbrett in meinem Zimmer acht Bücher in alphabetischer Reihenfolge stehen, ist tröstlich. Auch das ist Magie – ein magisches Bindeglied. Meine Mutter kann nicht dort hinein, und selbst wenn, es sind Bücher. Mit Büchern wirkt man keine Magie, es sei denn, es sind ganz besondere Ausgaben; außerdem hat sie sowieso schon alle anderen Bücher von mir. Sie hat viel zu viel von mir, aber es gibt keine Möglichkeit, es ihr wegzunehmen.
Falls ich sie wieder besiegt habe, und ich glaube, das habe ich – wird sie sich rächen wollen? Es war völlig anders als beim letzten Mal. Eigenartig enttäuschend, vor allem, weil ich Glorfindel nirgendwo ausfindig machen kann, um ihm die neun Millionen Fragen zu stellen, die mir auf den Nägeln brennen.
Die Haustür ließ sich nicht mehr zuschließen. Also habe ich sie von innen verriegelt, bin hinten rausgegangen und habe den Schlüssel zur Hintertür in den Briefkasten geworfen. Ich habe es Tantchen Teg gesagt, die als Nächste dorthin gehen wird.
Ich habe mich mit Moira und Leah und Nasreen getroffen, als sie heute Nachmittag aus der Schule kamen. Sie fragten mich, wie es in Arlinghurst ist, und ich habe ihnen nichts erzählt, außer ein paar Oberflächlichkeiten. Leah hat einen Freund, Andrew, der auf der Park School immer so gut in Mathe war, als wir noch klein waren. Ich sagte ihr das, und sie erwiderte, dass einige von uns immer noch klein wären. Sie ist in letzter Zeit ziemlich gewachsen. Werde ich das wohl auch? Mit zwölf waren wir die Größten in der Klasse, aber inzwischen haben mich fast alle überholt. Sie erzählten mir den neusten Tratsch. Dorcas, die immer die Beste in Französisch und Walisisch war und deren Eltern irgendso einer bescheuerten Religion anhängen, Siebenten-Tags-Adventisten oder so etwas, ist schwanger. Sue ist mit ihren Eltern nach England gezogen. Ich kam mir richtiggehend normal vor, aber auch irgendwie seltsam, als würde ich nur so tun.
Morgen muss ich wieder nach Shrewsbury zurück, dabei hätten sie da frei, und wir könnten etwas zusammen unternehmen.
Samstag, 3. November 1979
Der Zug nach Crewe ist viel kleiner als der aus London. Er hat einen Korridor und winzige Wagen, in denen acht Leute sitzen können, auf Bänken, die einander gegenüberstehen. Über den Sitzen ist eine Gepäckablage, und an manchen Wänden hängen Schwarzweißfotos – in meinem Wagen eins von Newton Abbot, ein Örtchen, von dem ich noch nie gehört habe. Wo es wohl liegt? Es sieht nett aus. Den größten Teil der Strecke hatte ich den Wagen für mich, nur von Abergavenny bis Hereford hat sich eine Dame in mittleren Jahren mit zwei Kindern zu mir gesetzt. Sie störten mich nicht weiter. Die meiste Zeit habe ich abwechselnd zum Fenster rausgeschaut und gelesen, erst das neue Destinies , und dann habe ich Die Zeitreisenden in Callahan’s Saloon angefangen, das ich ebenfalls bei Lears gekauft habe.
Der Zug fährt die Walisische Grenze hinauf. Nachdem er Cardiff und Newport hinter sich gelassen hat, fährt er fast nur noch durch Felder und Hügel. Die Sonne verschwand öfter hinter den Wolken und tauchte dann wieder auf – Herbstwetter eben. In dem seltsamen Nachmittagslicht sah alles aus, als befände es sich unter Wasser. Die Wolken warfen unregelmäßige Schatten auf die Berge, und wenn die Sonne hervorbrach, schien das Gras zu leuchten, hell genug, um dabei lesen zu können. Vom Zug aus kann man den Sugar Loaf sehen. Na ja, er ist auch unverkennbar. Manchmal sind wir nach Abergavenny gefahren, und im Auto haben wir dann ein Lied gesungen: »Über die Berge nach Abergavenny, hoffentlich wird’s Wetter schön.« Mir wurde ganz warm ums Herz, als wir dort durchkamen, obwohl ich nur den Bahnhof und die dahinter liegenden Hügel sah. Ich werde Opa davon erzählen, wenn ich ihm schreibe. Hinter Abergavenny überquert der Zug irgendwo die Grenze, denn
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