In einer Familie
befestigt war, das
aber dennoch etwas wie ein Matronenhäubchen an-
zudeuten schien.
Inzwischen war das Theegeschirr vom Diener auf
den Kaminsims gesetzt. Frau v. Grubeck überließ es
Anna, ihren Gatten zu bedienen, während sie selbst
dem Major seine Schale reichte. Sie blickte dabei zu
dem alten Herrn auf und redete ihn mit einem Ton
schlichter Vertraulichkeit an, den weder Anna noch
Wellkamp früher in dem Verkehr der Eltern gehört
hatten.
»Wer weiß, mein Lieber«, sagte sie »ob wir beide
nicht auch gelegentlich noch einmal einen Abstecher
nach Berlin unternehmen. Man bleibt auf die Dauer
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doch allzu sehr in der Kultur zurück, wenn man ein-
mal aus dem Centrum heraus ist.«
»Nehmen wir es also in Aussicht«, erwiderte der
Major mit einer zuvorkommenden Verbeugung. Er
schien sich seinerseits in seiner Haltung nicht verän-
dert zu haben. Er sprach stets wie über ein Respekts-
gitter hinweg, wenn er das Wort an seine Gattin rich-
tete. Letztere fuhr fort, nunmehr an Anna und halb
zu Wellkamp hinüber gewendet.
»Übrigens kann ich nicht behaupten, daß ich für
den Berliner Ton schwärme, so freundlich man mich
dort aufgenommen hat. Er ist mir zu burschikos und
dabei doch zu greisenhaft, wie mir scheint. Das heißt
in der Art von blasierten Jungen; es ist, als ob eben
diese den Ton angeben. Wenn man dann wirklich in
ein vernünftiges Alter kommt, so sagt einem diese
Scheinreife nicht mehr zu. – Ihr habt euch jedenfal s
um andere Dinge zu kümmern gehabt?«
Wel kamp ward durch ihre Worte aufs lebhafteste
an jene früher des öfteren von ihr gehörten Äuße-
rungen über ihr Altern und über ihre freudlose Ruhe
erinnert. Er vergegenwärtigte sich die kokette Art,
wie sie damals ihre Klagen vorgebracht, er sah deut-
lich die ironisch-sentimentale Neigung ihres feinen
Kopfes. Und heute berührte sie plötzlich den glei-
chen Gegenstand mit fast unpersönlichem und ganz
schlichtem Ausdruck, gleichsam als selbstverständ-
liche Voraussetzung hinwerfend, was sie damals als
etwas zu stark betonte und zu artigem Widerspruch
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herausfordernde Behauptung vorgebracht. Der
junge Mann machte diese Beobachtung schon nicht
mehr in der beruhigten und uninteressierten Weise,
wie er noch vor weniger als einer halben Stunde die
mit Frau v. Grubeck vorgegangene Veränderung be-
merkt. Mit den Erinnerungen an die vor der Reise
liegenden Vorgänge stieg wieder eine unbestimmte
Unruhe in ihm auf; es war, als ob sich aufs neue eine
Frage in ihm bildete. Diese ward ihm noch peinlicher
in ihrer Unfaßbarkeit, als er die Erwiderung seiner
jungen Frau auf die von Dora an sie gerichteten
Worte vernahm.
»Ich habe in Berlin viel lernen können«, sagte
Anna in ihrer ruhigen, sinnenden Weise und sie
nickte bestätigend, als der Major ihr jovial zurief:
»Du kannst das Studieren also immer noch nicht las-
sen?«
Für Wellkamp wehte aus ihren Worten etwas
überraschend Fremdes und Kaltes. Es war ihm, als
müsse er sie plötzlich mit veränderten Augen anse-
hen, nicht nur in diesem Augenblick, wie sie da saß,
sondern auch seine Gefährtin in den jüngst vergan-
genen Wochen. War sie denn nun die Frau, die er an
seiner Seite zu haben geglaubt, als er halb träumend
und voll von heimlichem süßem Glück mit ihr in
einer treibenden Menge durch die langen Gassen
geschritten war? Er hatte davon nichts als die sehn-
süchtig-schöne Erinnerung an einen begehrenswer-
ten Traum mitgebracht, den sie gemeinsam durch-
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lebt, und jetzt mußte er hören, wie sie von Studien,
die sie gemacht, redete in einem Tone, als sähe sie in
diesen den Zweck ihrer Reise. Vielleicht hatte sie gar
Journal darüber geführt und jedesmal die Stunde
herbeigesehnt, wenn er sie allein ließ, um ihre Noti-
zen zu machen!
Er hatte während dieser innerlichen Bemerkun-
gen ein erschreckend kaltes Gefühl des Erwachens,
worin er den ganzen herben Unterschied durchko-
stete zwischen der kurzen Illusion, die er hinter sich
gelassen, und der Wirklichkeit, in der er sich nun
wiederfand. Aus seinen traurigen Gedanken heraus
hatte er auf einige an ihn gerichtete Fragen zerstreute
Antwort erteilt, und jetzt hörte er Dora vorschlagen,
in die andere Wohnung hinüberzugehen, wo das
Abendessen sofort bereit sein werde. Doch kostete
es ihr selbst am meisten Mühe, sich von dem reizen-
den Kaminplätzchen zu trennen, um das sie, wie sie
sagte, Anna aufrichtig beneidete.
»Nicht
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